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Fazit 2011 PDF Drucken E-Mail

Anregender Austausch beim Film und Medienforum Niedersachsen in Lüneburg
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Mit der Präsentation aktueller TV-Formate, neuer Erzählformen, Entwicklungen in der Filmbildung, der Produktionsrealität bei der Herstellung der Telenovela Rote Rosen, Überlegungen zur Neudefinition öffentlich- rechtlichen Rundfunks im Kontext der zukünftigen Haushaltsgebühr bis hin zur Aufführung nordmedia geförderter Filme war das Spektrum des 2. Film- und Medienforums Niedersachsen sehr breit angelegt. Vom 28. – 30.10.2011 fand in der Handwerkskammer, auf dem Produktionsgelände der Roten Rosen und im Scala Programmkino in Lüneburg ein anregender Austausch zwischen TV-Redakteuren, Produzenten, Regisseuren, Autoren und Wissenschaftlern statt.


Dabei wurden auch Bereiche vorgestellt, an die Filmschaffende nicht primär denken wie z.B. die Filmbildung in Schulen und die Online-Bereitstellung von Medien für den Unterricht durch das neue Portal „Merlin“. Vereinbart wurde eine engere Zusammenarbeit, um geeignete in Niedersachsen entstandene Filme für den Unterricht zur Verfügung zu stellen. Die Akteure zu diesen Themen waren Detlef Endeward vom NLQ und Jörg Steinemann vom Medienpädagogischen Zentrum des LK Stade. Den Blick von außen auf das Besondere in Niedersachsen richtete Markus Köster, Leiter des LWL-Medienzentrums für Westfalen. Bereits bei diesem ersten Thema des Forums, moderiert von Michael Jahn von VISION KINO, zeigte sich das Bedürfnis nach Information und Austausch der Teilnehmer.

Bei den Themen Quoten / Verspartung / Neue Erzählformen wurde dann der Zeitplan vollends überschritten. Unter der Leitung von Fritz Wolf diskutierten Dirk Neuhoff, Leiter Dokumentation & Reportage, NDR Fernsehen, Marco Otto, Leiter Abt. Planung, Entwicklung, Innovation, NDR Fernsehen und Burkhart Althoff, Stellvertretender Leiter der Redaktion "Das kleine Fernsehspiel des ZDF" mit Thomas Frickel, dem geschäftsführenden Vorsitzender der AG DOK. Zur Einstimmung stellte Kathrin Rothemund von der Leuphana Uni Lüne- burg einige Merkmale des “Quality-TV“ in den USA vor.

Wozu das Fernsehen hierzulande auch fähig ist, zeigte Burkhard Althoff mit der Demonstration des ZDF-Internetprojektes und anschließendem Fernsehspiel Wer rettet Diana Foxx. Eine spannende Verknüpfung eines Fernsehformats mit zahlreichen anderen Medien, unter anderem mit einer Reihe extra gegründeter Websites und der interaktiven Präsenz der wohl jüngeren Zuschauer. Ein Format aus der Schmiede „Das kleine Fernsehspiel“, das keine Eintagsfliege bleiben soll und darf, angesichts des TV-Nutzerverhaltens der meisten Jugendlichen.

Neue Dokumentarfilme des NDR für die ARD, aber auch für das NDR-Fernsehen, stellte Dirk Neuhoff vor, darunter mehrere Doku-Fiction-Formate wie "Vom Traum zum Terror: Olympia 1972" über den Überfall auf die Olympischen Spiele in München. Einige Teilnehmer fanden die inszenierten Teile eher störend, auch für die Glaubwürdigkeit des Films.

Die Quote, das „bekannte Unwesen“? Dann berichtete Marco Otto vom NDR über den Stellenwert der Quoten und der umfangreichen Zuschauerforschung für die Programmplanung. Nur bei Kenntnis vieler Informationen lasse sich ein Programm herstellen, das die jeweilige Zielgruppe auch erreiche. Je nach Standpunkt blieben einige Fragen offen, z.B. wie viel trägt die Quote zur Bewertung eines Sendeplatzes und zur Qualität des Programmangebots bei oder welche Rolle spielt sie bei der Platzierung, beim Start, beim Aus oder bei der Verschiebung einer Sendung. Stellt sich die Frage, was sagen die Quoten überhaupt aus, wenn sie in vielen Fällen so geringe Werte darstellen, dass sie sogar von den Quotenmessern an vielen Stellen als eigentlich nicht signifikant bezeichnet werden, wie Thomas Frickel nachwies. Ein kleiner Disput entzündete sich an der Bewertung der sekundengenauen Verlaufsquote, oder besser der Weggehquote, da auch sie herangezogen wird zur Veränderung der nächsten Produktion oder der Dramaturgie. Diese sei aber laut Frickel rein quantitativ zu bewerten und würde qualitativ nichts aussagen. Für Dirk Neuhoff kann die Auswertung der Verlaufsquote aber wichtige Hinweise über das Verhalten von Zuschauern liefern, die er als Redakteur bei der Planung qualitativer Verbesserungen von Filmen mit berücksichtigen würde.

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Das Original-Quotenfernsehen konnte dann am späten Nachmittag beim Besuch der Telenovela „Rote Rosen“ besichtigt werden. Hier ging es aber dann eher um logistische und technische Fragen vor dem Hintergrund der täglichen Produktion von 48 Min. fiktionalem Programm für ein Massenpublikum am Nachmittag.

Wer darf öffentlich-rechtlich senden? Thomas Frickel war der Impulsgeber für den Samstagvormittag mit seiner These, das Fernsehen komme seinem Programmauftrag nicht mehr umfassend nach, gesellschaftlich relevante Themen seien kaum noch zu den Hauptsendezeiten zu finden. Das trifft vor allem kleinere und mittlere Filmemacher, deren engagierte Filme entweder gar nicht mehr entstehen oder nur noch auf Festivals und im Internet zu sehen sind.

Deshalb sollten, vor allem wenn 2013 die Haushaltsgebühr kommt, qualitative Programmangebote im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages, auch von anderen Anbietern erstellt und produziert werden. Da das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Internetauftritte als Fernsehen definiere, gelte quasi in Umkehrung auch: alle die vergleichbare Inhalte anbieten, sollten auch als öffentlich-rechtlich gelten, und aus Mitteln der neuen Gebühr finanziert werden - sofern diese Mittelverteilung durch öffentlich-rechtliche, pluralistische Gremien (wie Filmförderungen oder Landesmedienanstalten) kontrolliert werde.

Also es geht darum, ein fernsehunabhängiges öffentlich-rechtliches Internetangebot zu entwickeln, so Thomas Frickel. Daran knüpfte die Präsentation des Moving Image Labs Digitale Medien des Inkubators der Leuphana Universität Lüneburg an. Aljoscha Kaplan und Jörg Schulze konstatierten, dass 2010 zum ersten Mal die Internetnutzung bei den 15 - 19 jährigen 100 % erreichte. Wenn man also die jüngeren Zuschauer (und das sind bei den Öffentlich-rechtlichen laut deren eigener Definition alle unter-50-jährigen) erreichen will, muss man in der oben skizzierten Richtung weiterdenken und handeln. Fernsehen früher und heute Dass auch der NDR partiell jugendliche Zuschauer mit politischen Inhalten erreicht, belegte der Teamleiter von „Panorama - Die Reporter“, Dietmar Schiffermüller, mit Ausschnitten von Beiträgen aus diesem Magazin, die viele Reaktionen jüngerer Zuschauer ausgelöst hatten. Wie Politmagazine früher auf Jugendthemen eingegangen sind und diese dargestellt wurden, beleuchtete der Medienjournalist Harald Keller an einigen sehr erheiternden Ausschnitten alter Sendungen.

Ein Fernsehereignis des Jahres 2012, die 18-stündige TV-Dokumentation „Der Tag der Norddeutschen“, stellten die Regisseurin des Projekts, Franziska Stünkel und der Produzent Dr. Michael Heiks (TV Plus GmbH) vor. Gedreht wird am 11. Mai, gesendet im November 2012. Nicht nur die technischen Herausforderungen durch die vielen Teams, die alle am selben Tag in ganz Norddeutschland drehen sondern auch die möglicherweise auftretenden Probleme mit gern auftauchenden Promis und Politikern führen vor allem bei Dr. Heiks zuweilen zu Alpträumen.

Um Möglichkeiten der Kooperation mit Filmschaffenden in Niedersachsen ging es u.a. im Gespräch mit Sabine Holtgreve, der neuen Redakteurin in der NDR-Redaktion Film, Familie & Serie. Sie stellte einige neue Projekte vor und ermunterte Autoren und Regisseure, sich rechtzeitig mit Projektideen beim NDR zu melden. Die Vorstellung der Finanzierungswege einzelner Projekte in der abschließenden Runde ergab eine eher konventionelle Vorgehensweise der Produzenten. Das in der aktuellen Debatte oft bemühte Crowdfunding, also die Mitfinanzierung von Filmen durch die Internetuser, sei eher keine Alternative, da zu aufwendig und eher additiv.

Auch Kulturstiftungen seien keine Alternativen zu konventionellen Förderungen, da sie durchweg Filmprojekte mit dem Hinweis auf die Filmförderungen ablehnten, diese aber in erster Linie wirtschaftlich orientiert seien. Wäre die Renaissance der kulturellen Filmförderungen ein Ausweg? Wo könnten künstlerisch ambitionierte Filme gefördert werden? Man bräuchte Forschungslabore für neue Narrationen, wo getrennt würde zwischen Kunst und Wirtschaft, so ein abschließender Beitrag aus dem Forum. Oder doch nicht? Kunst und Wirtschaft müssten vernetzt werden, so ein anderes Statement.

Es gibt also auch für die Zukunft noch viel zu diskutieren und zu klären. Filme zu sehen gab es auch. Im SCALA Programmkino in Lüneburg gezeigt wurden der Spielfilm „Abgebrannt“ und die Dokumentarfilme „Die Guantanamo-Falle“ und „Bingo - Zuletzt entscheidet immer noch das Glück“ sowie vier Kurzfilme. Alle Filme wurden von Filmemachern vorgestellt. Zum Abschluss des Forums nahmen der Filmkünstler Thomas Bartels und der Komponist Wolfgang in der Wiesche die Kinobesucher mit auf eine seltsame Reise, erzählt in der Sprache der Träume.

Jörg Witte + Karl Maier
Weitere Infos: www.filmmedienforum.de

© Alle Fotos: www.kerstin-hehmann.de

oben: Neue Projekte: "Der Tag der Norddeutschen". Dr. Michael Heiks, Produzent, TV Plus GmbH, Franziska Stünkel, Regie und Karl Maier, Moderation.
unten: Besichtigung der Studios und Sets der ARD-Telenovela Rote Rosen.

Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 20. Dezember 2011 um 13:32 Uhr