Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2005 Sind Multiplexe die Galerien von heute?
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›Experiment Mainstream?‹ - 10. Int. Bremer Symposium zum Film
multiplex
Ausstellungseröffnung der ›Stills for Motion‹ von Petro Domenigg durch Prof. Winfried Pauleit. Foto Karl-Heinz Schmid

›Es gibt kaum ein Thema, das mir müßiger erscheint!‹ schrieb Fritz Lang Mitte der 20er Jahre über die Frage, ob der Film denn überhaupt eine Kunst sei, um dann doch auszuführen, dass er für ihn ein ›Eigenwesen und ein Geschöpf des Jahrhunderts sei‹, das sich nicht bei den alten Künsten anbiedern sondern statt dessen selbstbewusst ›sinnliche Attraktionen‹ liefern solle.

Nase rümpfende Cineasten
Seitdem mögen sich die Grenzen zwischen E- und U-Kultur verwischt haben, natürlich sind ›La Dolce Vita‹ und ›Citizen Kane‹ längst als Kunstwerke anerkannt, aber wie steht es um ›Lord of the Rings‹ und ›Pulp Fiction‹? Auch die ›Sensationsfilme‹ von Lang sind inzwischen kanonisiert und dabei waren sie damals reinstes Mainstreamkino, über deren heutige Nachfolger feingeistige Cineasten gerne die Nasen rümpfen. In den 60er und 70er Jahren war das schlimmste Verdikt über einen Film, Song oder Roman, er sei ›kommerziell‹, und ›Mainstream‹ scheint heute eine ähnliche Bedeutung zu haben.
Kaspar Haase hat zurecht darauf hingewiesen, dass ›Mainstream‹ in erster Linie ein Geschmacksurteil ist und bei Filmbesprechungen gerne in Formulierungen wie ›Für einen Mainstream-Film erstaunlich subtil in der Charakterzeichnung‹ scheintolerant und herablassend verwendet wird.
Aber wie künstlerisch kann denn eine Studioproduktion sein, die auf den globalen Markt ausgerichtet und mit großer dramaturgischer und technologischer Finesse so konstruiert wurde, dass sie möglichst vielen gefallen soll? Ist Hollywood nicht eine annähernd monopolistische Traumfabrik, die die Ausdrucksweisen des Kinos immer mehr uniformiert und die regionalen Filmkulturen an die Ränder drängt? Solche Fragestellungen wurden beim 10. Internationalen Bremer Symposium zum Film vom 21.-24.01.2005 im örtlichen Kommunalkino, dem Kino 46 behandelt.

›Ästhetische Würde des Kassenerfolgs‹
Dabei wurde die alte Debatte um E- und U-Kultur zum Glück nicht noch einmal aufgewärmt. Stattdessen drehte Kaspar Maase in seinem Vortrag ›Die ästhetische Würde des Kassenerfolgs‹ dialektisch geschickt den Spieß um und führte aus, dass mit dem Film die Kunst ›Einzug in den Alltag der unterbürgerlichen Schichten hielt‹. Durch das Kino konnte jeder jederzeit ästhetische Erfahrungen machen, ›die populären Künste sind nicht weniger Kunst als die ernsten Künste der Kunstwelt - sie entfalten ihre ästhetischen Potentiale unter anderen Bedingungen.‹
Die Ästhetisierung des Alltag, ein Grundtrend des 20. Jahrhunderts, wird für ihn in erster Linie durch Musik und Film vorangetrieben, und die Diskriminierung dieser Demokratisierung des Schönen weist auf Verlustängste der traditionellen Kulturschaffenden hin. In den 20er Jahren war es etwa die Krisenerfahrung der Literaten, Theatermacher und Künstler, deren Werke plötzlich im Vergleich zur Massenanziehung des Kinos extrem an Wirkung verloren, die zu den ›Schmutz- und Schund- Kampagnen‹ gegen die Populärkultur führten.
Dabei ist ja nicht die vielgeschmähte Unterhaltung das Gegenteil von Kunst, sondern die Langeweile, und in dem zum Teil immer noch vorherrschenden Verständnis von ›ernster Kunst‹ mit der Forderung nach ›der intensiven (Mit)Arbeit an der Erschließung des Schönen in seiner Komplexität‹, entdeckt Maase ›eine Verlängerung der Zwänge der Arbeitsgesellschaft‹.

Mainstream in der Kunst?
Die Bemühungen, Einflüsse der bildendenden Kunst in Unterhaltungsfilmen zu finden, wirken meist wie missglückte Veredelungsversuche, und so war es auch eher ermüdend, zusammen mit dem Dozenten Martin Deppner dem ähnlichen Einsatz von Farben in Gemälden und dem Film ›Far From Heaven‹ von Todd Haynes nachzuspüren. Aber man kann die Frage ja auch umdrehen: Wieviel Mainstream ist in der Kunst?
Seit Andy Warhol lassen sich regelmäßig Maler, Fotografen und Konzeptkünstler von den Populärkulturen inspirieren, und im Experimentalfilm hat sich daraus ein ganzes Genre entwickelt. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Kurzfilmen, Videos oder Installationen, die auf ›Found Footage‹ basieren, also gefundenen Ausschnitten aus kommerziellen Filmen, die dann verfremdet, anders montiert, endlos wiederholt usw. wurden. Teils wurden sie von einer medienkritischen Position heraus dekonstruiert, teils aber auch erotisiert und als autobiografisch prägende Eindrücke dargestellt.

›Still Men Out There‹ von Björn Melhus
Christine Noll Brinkmann stellte mit ›Still Men Out There‹ von Björn Melhus solch ein Werk vor, in dem sogar ganz auf das Filmbild verzichtet wurde, da es nur aus einer akustischen Kollage von Hollywood- Kriegsepen und flackernden Bildschirmen bestand. Wenn man von dem Werk gefangengenommen wurde, dann nicht nur, weil Melhus es so geschickt arrangiert hat, sondern auch, weil man trotz der radikalen Reduktion noch etwas vom dramaturgischen Sog der Vorlagen spürte.

Wie baut man Blockbuster?
Aber warum haben so viele Filme aus Hollywood solch eine immense Wirkung? Wie baut man dort einen Blockbuster? Ein sicheres Erfolgsrezept gibt es nicht, sonst gäbe es nicht immer wieder Flops wie ›Pearl Harbour‹, und doch gelingt es den Studios immer wieder, Filme zu produzieren, die zwar typisch amerikanisch sind und dennoch weltweit ihr Publikum rühren, aufregen, amüsieren oder trösten.
Eine dieser erzählerischen Strategien stellte Ernst Schreckenberg in seinem Vortrag ›Die Reise des Helden‹ vor. Er führte aus, wie groß der Einfluss des Mythologen Joseph Campbell seit ›Star Wars‹ unter den Drehbuchschreibern von Hollywood ist. Campbell untersuchte die Mythen der Welt und destillierte sie zu einer Art narrativem Code, dessen Strukturen und Elemente (wie ›die innere Reise‹, ›die Schwelle‹, ›die Verwandlung‹, ›Überhöhung des Helden‹) viele Autoren Hollywoods wie nach einem Baukastenprinzip verwenden.
Kinohits wie ›Titanic‹, ›Das Schweigen der Lämmer‹, und ›Spider Man‹ sind deutlich nach dieser Formel gebastelt.

Neue Sicht auf ›Forrest Gump‹?
Wie komplex solch ein Unterhaltungsfilm sein kann, wie viele Bedeutungsebenen sich bei einer genauen Analyse erschließen können, machte Thomas Elsaesser mit seinem Text zu ›Forrest Gump‹ deutlich. Bis heute entzünden sich an diesem 1994 gedrehten Film polemisch geführte Kontroversen. Regisseur Robert Zemeckis wird vorgeworfen, reaktionäre und rassistische Geschichtsverfälschung zu betreiben.
Elsaesser sieht die umstrittenen digital manipulierten Einstellungen, in denen Tom Hanks als der einfältige Titelheld in historischen Aufnahmen neben John F. Kennedy, Lyndon Johnson oder Richard Nixon auftaucht, dagegen nicht als ›gefälschte Bilder‹, sondern als satirische Hinweise auf ›Leerstellen‹ in der amerikanischen Geschichte. Durch solche Fehlleistungen werden für ihn ›Wahrheiten transportiert und Möglichkeiten des Dialogs eröffnet‹. Man muss Elsaesser nicht bis zu seinem recht abenteuerlichen Schluss, dass Forrest Gump im Grunde ein afroamerikanischer Filmheld sei, folgen. Aber wenn er dem Film eine ›neue Poetik des Mainstream Kinos‹ attestiert, dann kann man das Fragezeichen im Titel des Symposiums wohl endgültig streichen.

Wilfried Hippen

Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 01. April 2010 um 13:10 Uhr