Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2014 16x Deutschland - der Beitrag von Rosa Hannah Ziegler
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16xdeutschland

16 Filmemacher und Filmemacherinnen durften 16 Bundesländer beschreiben, jeweils das eigene und jeweils 15 Minuten lang und das aus Mitteln des Öffentlich- Rechtlichen Rundfunks. Wer die Idee dazu hatte? Die ARD. Und aus welchem Anlass? Zum Tag der Deutschen Einheit.

16 Filmemacher und Filmemacherinnen durften unbeeinflusst von den Sendern (jedenfalls scheint es so) nach eigenem Gusto verfahren, sowohl formal wie inhaltlich, wenn sie sich an die einzige Vorgabe hielten: die Heimat, das eigene Bundesland. Ganz schön mutig. War doch nicht voraussehbar, was diese so unterschiedlichen 16 am Ende als ›Heimat‹ präsentieren würden. Jedenfalls nicht die übliche Folklore, die war nicht zu erwarten. Vorsichtshalber terminierte man das Projekt lieber nicht auf den 3. Oktober. Ganz so mutig war man doch nicht. Aber immerhin in die Nähe, auf den 5./6.10. Da ist die Deutsche Einheit noch ganz nah. Und vorsichtshalber (auch nicht sehr mutig) auf den Nachmittag, wenn Oma beim Kaffeeklatsch, Papa beim Fußball und der Nachwuchs sonstwo ist.

Immerhin. Wenn auch nicht mitgeteilt wurde, nach welchen Kriterien die Sender ihre Filmemacher und Filmemacherinnen ausfindig machten – denjenigen, denen der öffentlich-rechtliche Geldsegen zuteil wurde, konnte das alles ziemlich gleichgültig sein. Sie hatten die Chance (und die meisten von ihnen nutzten sie auch), sich in der Umgebung umzusehen, etwas zu entdecken, was ihnen wichtig schien, es optisch einzufangen, mitzuteilen, als 15minütige Miniaturen.

Vier Filme über den Norden

Für den NDR traten an: Charly Hübner (im Hauptberuf Schauspieler), der die Schönheit der Landschaft von Mecklenburg-Vorpommern kontrastierte mit der örtlichen Naziszene. Özgür Yildirim, der ein Porträt der Hamburger Band ›kollektiv22‹ lieferte. Lars Jessen, der das Gasthaussterben im ländlichen Schleswig-Holstein zum Thema hatte.

Für Niedersachsen stand Rosa Hannah Ziegler. Ziegler porträtiert eine junge Frau. 19 Jahre ist sie alt, aber irgendwie noch auf der Schwelle von einem Teenager zur Erwachsenen. So sieht sie sich selbst, endlich erwachsen werden möchte sie. Bei der Preview der vier Beiträge im Hochhauskino von Hannover mokierte sich jemand, der Film habe doch eigentlich mit Niedersachsen nichts zu tun. Doch, doch, entgegnete Ziegler. Sie selbst wohne in Niedersachsen, und Yasmin, die Porträtierte, auch.

Auch ich denke, das sollte genügen. Im Übrigen, auch wenn die Landschaft in diesem Film nur en passant gegenwärtig ist und keine Landmarken sie eindeutig definieren, ist sie doch als niedersächsische unverkennbar. Unverkennbar das flache Land, der hohe Himmel darüber, das trübe Licht, welches das Grün der Wiese und der Felder blass erscheinen lässt, der im Nebel verschwimmende Hintergrund. Das alles grundiert diese Geschichte, ist Teil der dichten Atmosphäre dieses Films. Aber nicht um ein Wiedererkennen von Landschaft geht es Ziegler, ihr Begriff von Heimat ist nicht ans Äußerliche gebunden, Heimat ist etwas Inneres, etwas, das erstrebt wird, auf das man sich zubewegt, wie Yasmin, die eine Sehnsucht nach Heimat hat, auch wenn sie es explizit nicht so sagt. Sie sagt, sie will ein Zuhause.

Rosa Hannah Ziegler begleitet Yasmin durch Wiese und Feld, die Straße zwischen den tristen zweistöckigen Mietskasernen entlang, wie sie am Rande von Walsrode stehen (in einem dieser Häuser wohnt die Protagonistin). Sie ist mit Yasmin bei der Berufsberatung, bei der Friseuse, schaut zu, wie sie Tagebuch schreibt (zu schreiben ist ihre große Leidenschaft), sich schminkt, auf der nächtlichen Innenstadtstraße einer Diskothek zustrebt. Da, und nicht nur dort, folgt die Kamera ihr in ein, zwei Metern Abstand, schaut auf ihren Rücken, den Nacken, das Haar, man sieht, wie sie geht.

Dieses Gehen ist nicht zögerlich, nicht mehr kindlich, nicht verspielt, nicht lockend, sondern auf eine nicht energische Weise dennoch bestimmt. Dieser Gang durch die nächtlich nur spärlich beleuchtete Straße ist für mich einer der zentralen Momente des Films. Denn gleichzeitig hört man einem Telefonat mit der Mutter zu, das irgendwann vor kurzem geführt worden sein muss. Und man erfährt so nebenbei (nicht nur an dieser Stelle), dass Yasmin in Heimen groß geworden, dass die Eltern heroinabhängig waren, dass sie, auch wenn sie inzwischen auf Methadon sind, für Yasmin kein Umgang mehr sind (wenn sie es denn jemals waren), sie muss, das sagt sie ausdrücklich, endlich auf eigenen Füßen stehen. Auch wenn’s ihr nicht immer gelingen will. Zu viel geht in ihr noch vor, da jagen sich die Gedanken, es wundert sie, dass ihr der Kopf dabei nicht platzt. Das sagt sie zu Anfang. Jetzt, wie sie in die Disco tritt, ins flimmernde, flackernde, irrlichternde Licht, ist das wie eine sinnliche Bestätigung dieses Gefühl der Irritation. Man sieht Yasmin kurz tanzen. Dann ein harter Schnitt. Sie sitzt draußen auf einer Treppe vor der geschlossenen Tür, hinter der es noch wummert, unter einer einsam blakenden Lampe und raucht.

Vielsagend auch die Schlussszene. Sie möchte eine Familie, Liebe möchte sie und Liebe schenken, hatte sie gesagt. Nun steht sie auf dem Rand ihres (Parterre)-Balkons, tänzelt dort. Aber sie ist zu groß, zu lang, um sich strecken zu können, der Balkon über ihr drückt sie in die Beuge. Aber das hindert sie nicht. Beirren lässt sie sich nicht. Nicht länger.

Rosa Hannah Ziegler hat für ihren kurzen Film eine kluge Dramaturgie entwickelt, die der Protagonistin Raum lässt, sich zu entfalten, sowohl in dem, was sie sagt (Andeutungen genügen) wie in dem, was sie darstellt, wie sie sich inszeniert, das tut sie ohne sich aufzuspielen. Die Bildsprache interpretiert auf dezente Art dieses Verhalten. Ein Übriges leistet der Sound. Keine Soße wird hier drüber gegossen. Die Streicher etwa, auch sie halten sich dezent im Hintergrund, sie unterstreichen… Ja, Niedersachsen ist so. Auch so.

Willi Karow


Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 05. Februar 2014 um 14:08 Uhr