Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2012 Sydney Filmschool: Eine Schule fürs Leben
Sydney Filmschool: Eine Schule fürs Leben PDF Drucken E-Mail
Jahrgang vor dem Gebäude der Schule
Ein Internetforum hat mich auf die Sydney Film School aufmerksam gemacht. Alle, die dort studiert hatten, sprachen unisono von der besten Filmschule der Welt. Neben den einschlägigen Adressen konnte sich die SFS locker behaupten, nicht wegen ihrer Ausstattung oder dem anschließenden Erfolg ihrer Absolventen, sondern wegen der Qualität der Lehre und dem persönlichen Engagement der Dozenten. Ein Australienfan war ich sowieso schon und zum Glück konnte ich die Studiengebühren über Stipendien finanzieren. Also habe ich mich beworben, wurde angenommen, habe das einjährige Studium mit dem Diploma of Screen and Media abgeschlossen und gehöre jetzt auch zu den Leuten, die sagen: die SFS in Australien ist die beste Filmschule der Welt.

Klar, ich hab nicht alle Filmschulen der Welt gesehen, aber was ich in Sydney vorgefunden habe, ist so besonders, dass ich nicht glaube, dass es das nochmal gibt. Hervorgegangen ist die SFS aus dem Fachbereich einer anderen Universität. Ein paar Dozenten und Filmemacher haben sich zusammen selbständig gemacht, um ihren Traum von der eigenen Filmschule wahrzumachen. Der größte Impuls dabei war es, endlich all die Dinge richtig zu machen, die in ihrem eigenen Studium an der staatlichen Filmschule schlecht gelaufen sind und wichtige Lehrveranstaltungen aufzubauen, die es dort gar nicht gab.

Leslie Oliver und Ben Ferris samt ihren Frauen Uracha und Ira leben diesen Vorsatz jeden Tag. Selbst mit ausgezeichneter Filmpraxis und einer anerkannten Ausbildung ausgestattet stellen sie sich voll und ganz in den Dienst der Schule. Sie unterrichten für wenig Gage teilweise bis weit nach Mitternacht, sind jeden Tag im Jahr (bis auf einen guten Monat Ferien im Januar) für alle zu sprechen und arbeiten an den kleinen und großen Produktionen auf Augenhöhe mit den Studenten. Sie tun dies mit einer Hingabe, die ihresgleichen sucht. Sie sind sich nicht zu schade, für arme Studenten zu kochen, wenn diese ihr letztes Geld in ihren Abschlussfilm gesteckt haben, und es werden auch mal beide Augen zugedrückt, wenn einer die letzten Wochen des Jahres im Requisitenfundus wohnen muss.
mein regisseur kiko costas und ich im studio der sfs
Beheimatet in einem alten Lagerhaus in Redfern, dem Problembezirk Sydneys, hat die Sydney Film School nur zwei große Räume: ein kleines Studio, das eigentlich nur ein leerer Raum ist, in dem viel Gerümpel steht, daran angrenzend, aber eben ineinander übergehend, der Fundus, ein kleines Kino, der Equipmentraum und die Rezeption. Oben sind mehrere Klassenzimmer notdürftig voneinander separiert, ein Schnittraum mit mehreren iMacs, ein offener Bereich mit 16mm-Schneidetischen und die Büros der Mitarbeiter. Es gibt ein paar HDV-Kameras mit Stativen und Tonequipment, eine kleine 16mm- Ausrüstung mit Grip und Dolly, zwei Lichtkoffer, zwei 1000 KW Strahler und neuerdings tatsächlich auch einen Dedokoffer mit Magicarmen.

Für die Filmprojekte im zweiten Semester wird regelmäßig eine Red-Kamera gemietet, mehr Technik gab es zumindest 2010-2011 nicht (inzwischen sollen sie ein wenig aufgerüstet haben). Das Geld der Studenten wird stattdessen in die ausgezeichnete Lehre gesteckt und direkt in die Filmprojekte. Laufend werden Crews gebildet und Filme geschrieben, inszeniert und produziert – vom kleinen Übungsfilm hin zum großen 16mm-Film mit ausgewachsener Crew und einigen Tausend Euro Budget, der auf den Schneidetischen geschnitten, dann abgetastet und digital fertiggestellt wird. Besonders wundervoll ist, dass Leslie und Ben darauf achten, nur Lehrer einzustellen, die wirklich Filme machen und dabei nicht dem branchenüblichen Zynismus verfallen sind. So ist die SFS ein Laden voll positiv gestimmter Praktiker, die liebend gern ihr Wissen mit den Studenten teilen. Das führt zu einem Output von über 100 Filmen im Jahr, die weltweit auf Festivals laufen und die der staatlichen Filmschule, die mit Millionen gefördert wird, regelmäßig den Rang ablaufen. Ben und Leslie haben zudem unterschiedlichen Filmgeschmack, so dass klassisches Erzählkino und experimentellere Formen jeweils einen leidenschaftlichen Fürsprecher haben.

An der SFS habe ich mich zusätzlich zu meiner bisherigen Arbeit in Deutschland auf Kamera spezialisiert und konnte in meinem Jahr dort knapp zehn Filme als DOP und sicher noch ein gutes Dutzend weitere in den unterschiedlichsten Positionen umsetzen. Wir haben sogar einen 16mm-Science-Fiction-Noir in dem kleinen Studio gedreht, an dessen Decke man nicht mal Scheinwerfer befestigen kann. Wir haben einen kompletten, glaubwürdigen Straßenzug gebaut, mehr oder weniger aus den paar Stellwänden und Materialien, die eben zur Verfügung standen. Wie man als Filmemacher durch Leidenschaft und klug angewandtes Filmwissen aus Nichts Gold macht, ist eine Lektion, die mich das Leben lang begleiten wird.

Leslie und seine thailändische Frau Uracha möchten einen Ableger der SFS in Chang-Mai aufbauen. Die Studenten dort sollen bei freier Kost und Logis erst einmal lernen, ihr eigenes Essen anzubauen und Reparaturarbeiten durchzuführen, um Verantwortung und hartes Arbeiten kennenzulernen und reif zu werden fürs Filmemachen. Dieser klare, hohe und persönliche Anspruch ist es, der mich die SFS so sehr empfehlen lässt. Als ich im Laufe des Jahres irgendwann rausgefunden habe, dass Leslie selbst mal für den Oscar nominiert war und dass Emile Sherman, Produzent von The King’s Speech, Teilhaber der Filmschule ist, hat mich das auch nicht mehr gewundert. Es passt zum bescheidenen Wesen der Lehrer dort, dass das Klappern eben nicht zum Geschäft gehört. Der Focus wird lieber auf die Vermittlung von Wissen und das Produzieren selbst gelegt. Wer eine Aus- oder Weiterbildung machen möchte und die Zeit, das Geld und die Kraft hat, sollte unbedingt die SFS besuchen, weil sie eine intensive Schule fürs Leben ist.

www.sydneyfilmschool.com

Martin Jehle

Martin Jehle studiert Szenische Künste mit Schwerpunkt Film an der Uni Hildesheim und hat bereits 14 Kurzfilme gemacht.
www.jehlefilm.de
Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 18. September 2012 um 11:50 Uhr