Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2009 Filmworkshop beim Up and Coming Filmfestival
Filmworkshop beim Up and Coming Filmfestival PDF Drucken E-Mail
up_comingEs gibt Leute, die sich fürs Kino verabreden, ohne zu wissen, welchen Film sie schauen möchten. Abends stehen sie an der Kasse, entscheiden sich für das kleinste Übel und gucken dann einen Konsensfilm, der keinem weh tut - aber auch keinem wirklich gefällt. Ähnlich suspekt wie dieses Verhalten kam mir bis vor kurzem der Gedanke vor, einen Workshop zu besuchen, bei dem man in vier Tagen einen Film planen, drehen und postproduzieren soll. Die Gründe, warum ich Harald InHülsen vom Int. Up-and-Coming Filmfestival nicht abgesagt habe, waren denn auch außerfilmische. Schließlich bot sich die Gelegenheit, interessante Leute kennen zu lernen, Erfahrung zu sammeln, die eigene Arbeit zu präsentieren und das Festival intensiv mitzuerleben.
Am Sonntag, den 14. Nov 2009 fand ich mich in Hannover wieder, an einer Tafel mit vier regionalen und fünf internationalen Filmemachern aus Finnland, Norwegen, Brasilien, China und Kanada. Mein Partner, Jim Hansen aus Tromsø, wurde mir vorgestellt, wir bekamen die Rahmendaten und das Thema ausgehändigt, uns wurden die Schnittplätze und die Kameras gezeigt, wir erhielten Fahrkarten für den Stadtverkehr und gleich darauf war es Abend und wir saßen gemeinsam in einer Bar – schnelles Kennenlernen, danach kreatives Arbeiten auf Knopfdruck.
Natürlich funktioniert man anders unter Druck und natürlich ist es eine gute Erfahrung, gerade wenn man von der Uni kommt, wo der Druck doch eher künstlich ist und im Vergleich beispielsweise zum Fernsehalltag minimal. Was wir nicht erwarten konnten: Jim und ich waren sofort auf einer Wellenlänge, die Ideen reicherten sich schnell an, wir hatten viel Freude an der gemeinsamen Suche – gesucht wurden neue Plotpoints und weitere Bars – und die Nacht war schnell verbraucht.
Am Tag darauf (Montag) haben wir den Film geplant, am Dienstag haben wir ihn gedreht, am Mittwoch haben wir ihn geschnitten, den Ton aufgenommen und nachbearbeitet, die Bilder farbkorrigiert und ein Pan&Scan durchgeführt (wir hatten uns auf das Seitenverhältnis 2,35:1 geeinigt). Dabei war es frappierend, dass Jim und ich nahezu dieselbe Sprache sprachen, womit nicht Englisch gemeint ist, sondern eine Sprache des Filmemachens, die von internationalen Vokabeln bis zu ganz persönlichen Ansichten reichte. Ich kann Harald InHülsen nicht genug dafür danken, uns beide in ein Team gesteckt zu haben.
Als Jim am Mittwochabend aufgrund einer heftigen Grippe im Bett bleiben musste und ich die Nacht durcharbeitete, um seinen ersten Feinschnitt nochmal um knapp drei Minuten zu kürzen und die anderen Arbeitsschritte durchzuführen, hatte ich Angst, dass er es nicht gut finden würde, wie ich mit seiner Arbeit umgehe. Aber weit gefehlt: auch hier waren wir ein Team, und was er ausdrückte, kann ich nur bestätigen: zuhause gibt es so viele Filmemacher, die wir nicht verstehen können, hier aber haben wir jemanden gefunden, mit dem wir unbedingt weiter arbeiten wollen. Dieser weiterführende Arbeitswille entspricht genau dem Anliegen des Workshops. Wir sind angehalten, die gemeinsame Filmarbeit voranzutreiben. Ich bin sicher, dass wir das auch tun werden.
Auch sonst bin ich mit der Festivalerfahrung sehr zufrieden. Ein so großes internationales Festival als eine Art Specialguest zu erleben, hat viele Reize. Zu sehen gab es einige merkwürdige oder schlechte, aber auch ein paar herausragende Filme. Gerade die Arbeiten der internationalen Filmemacher unseres Workshops waren schlichtweg großartig, und diese Menschen näher kennen gelernt zu haben ist eine tolle Sache. Den eigenen Film keine Woche nach Beginn der Denkarbeit im Kino vor Publikum zu zeigen und die Reaktionen zu erleben, ist eine gute Erfahrung: so schnell können die abstrakten Gedanken ihren Weg der Konkretion bis auf die Leinwand finden. Das sollte man im langwierigen Produktionsprozess immer wieder vor Augen haben: wenn man schlank bleibt, geht es auch verdammt schnell.
Unsere Filme zu sehen war trotz aller positiven Seiten letztlich ein gemischtes Vergnügen. Weder Jim noch ich hätten unter anderen Umständen einen solchen Schnellschuss gedreht – wir wollen eben doch vorher wissen, welchen Film wir machen und welchen wir im Kino sehen werden. Wir wollen nicht das beste Ergebnis in Anbetracht der Beschränkungen präsentieren, sondern das beste Ergebnis.
Zufrieden waren wir aber trotzdem: mit der Erfahrung, mit den geknüpften Kontakten und mit der Basis, die wir gemeinsam aufgebaut haben und auf der nun weitere Filme entstehen können. Vor allem bleibt die Erkenntnis, dass Filme nicht nur eine universelle Filmsprache haben, wenn man sie schaut, sondern dass Kino bereits beim Machen eine so tiefgreifende Verständigung ermöglicht, wie ich sie nicht erwartet hatte. Diese Erfahrung ist für mich ab jetzt mit diesem Workshop und dem Up- and Coming verbunden.

Martin Jehle

Bild: Foto aus Christmas von Martin Jehle und Jim Hansen
Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 24. Februar 2010 um 11:46 Uhr