Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2009 Chance: Heinze kein Einzelfall
Chance: Heinze kein Einzelfall PDF Drucken E-Mail
Als Redakteurin Heinze unter Pseudonym Drehbücher schrieb, ihren Mann unter falschem Namen beschäftigte etc. pp., war sie in ihrer kriminellen Übertreibung vielleicht einzigartig, in ihrer prinzipiellen Selbstüberschätzung jedoch nicht. Da hat sie sich nur so verhalten wie andere ihrer Zunft auch. Und ich rede hier nicht nur von den Öffis, sondern meine auch die Fiction- Redaktionen der Privaten (wie ich von den Dokumentaristen weiß, ist es dort ähnlich).
Wer jetzt eine Enthüllungstory erwartet, der sollte schleunigst weiterblättern. Mir geht es darum, über einen ärgerlichen Dauerzustand zu sprechen, den Heinzes Fall kurzfristig einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht hat und durch den die Chance für alle besteht, mal über die eigene Situation und die eigenen Umgangsformen nachzudenken.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen in den Redaktionen. Doch sind die leider nicht die Regel und da Fernsehen ein sich selbst reproduzierendes System ist, werden sie das wohl auch nicht werden. Zugegeben: Auch bei uns Autoren und den Regisseuren gibt es eine Menge Inkompetenz (wahrscheinlich gehöre ich sogar selbst dazu, ohne es zu merken - was ja leider ein Symptom von Inkompetenz ist) - aber über Autoren und Regisseure schreibe ich ja zum Glück gerade nicht.

Umgekehrter Entwicklungsprozess
Redakteure/-innen sitzen in der Nahrungskette weit oben, da wo es für jedes Projekt immer enger wird. Also haben sie Macht - und manche fahren diese bewusst oder unbewusst voll aus. Das ist schlimmer geworden, denn der ursprüngliche Entwicklungsprozess hat sich umgekehrt:
Früher hatten Kreative innovative Ideen und mussten damit erst Produzenten und dann TV-Entscheider überzeugen. Dann waren es auf einmal die Produzenten, die ›kreativ‹ wurden und eigene Ideen entwickeln ließen. Und heute sind es die Redaktionen, die genau zu wissen glauben, was der Zuschauer sehen will - und die Ideen vorgeben. Das perfide an dieser Variante ist, dass die Produzenten und Autoren, die sie sich dafür suchen, beliebig austauschbar sind, da sie ja nicht mehr an die Idee gekoppelt sind. Machst du's nicht, macht's ein anderer. Da geht Respekt und Teamwork in Beliebigkeit unter.
Und wenn es gar nicht so klappt, wie man es gerne hätte, schreibt man den Kram gleich selbst (warum hat sich eigentlich niemand darüber aufgeregt, dass Frau Heinze für eigene, sprich von ihr abzunehmende Programme schreiben durfte? Nicht falsch verstehen: Frau Heinze mag schreiben, was sie will, aber bitte doch für alle anderen, nur nicht den NDR! Wenn ich nebenher bei der nordmedia arbeiten würde, dürfte ich dort keinen Stoff mehr zur Förderung einreichen. Das verstehe ich, denn das hat was mit Wettbewerb und Vorteilsnahme zu tun. Aber warum durfte das Frau Heinze?!)

Kuscheln mit Redaktionen
So versucht jeder unter größtmöglicher Selbstverleugnung mit den Redaktionen zu kuscheln: Denn wenn das nicht klappt, gibt's keinen Auftrag. Und wenn es bei mehreren - so viele sind das nämlich gar nicht - Redaktionen nicht klappt, kann man einen Fahrradladen aufmachen. Oder eine Selbsterfahrungsgruppe. Auch daran denken Redakteure im Umgang mit Selbstständigen recht selten. Stattdessen finden sie Kreative eigentlich immer zu teuer und zu aufmüpfig. Günstige und nette Ja-Sager sind gefragt, die flott formulieren können. Inhalte sind nicht so wichtig.
Dass Reibung auch produktiv und verschiedene Meinungen zu etwas Besserem führen können, wird auf diese Art vollkommen unterdrückt. Und das Fernsehen, das hinten rauskommt, sieht genau so aus: gefällig, glatt und glanzlos.
Ich will niemandem zu nahe treten, sondern bin einfach (seit Jahren) von der Hoffnung beseelt, dass das deutsche Fernsehen besser werden kann, werden soll und werden muss.
Doris Heinzes Fall war da eine Chance. Der Verband Deutscher Drehbuchautoren hat mit dem Bundverband Regie während des Hamburger Filmfestes sofort eine Podiumsdiskussion zum Thema Heinze als Start für einen Neuanfang mit den Redaktionen organisiert. Doch inzwischen ist der Skandal wenige Monate alt und das Thema wird schon wieder unter den Tisch gekehrt und zur alten Tagesordnung übergegangen. Sehr schade.
Ich würde lieber empfehlen, was ich jetzt auch beherzigen werde: Eigene Nase fassen, besser machen.

Christoph Honegger. Drehbuchautor

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 24. Februar 2010 um 11:39 Uhr