Vom Kino lernen PDF Drucken E-Mail
14. Internationales Bremer Symposium zum Film
vom_kino_lernen01›Vom Kino lernen‹ meint eigentlich: vom Kino lernen. Schreibt man es zusammen, also: ›Vom Kinolernen‹ meint es das, was in diesem Jahr gemeint war, nämlich: Kino verstehen lernen, Filmvermittlung. Veranstalter wie die Jahre zuvor: das Kino 46 und die Universität Bremen. Längst steht das Symposium, das vom 16.-18. Januar 2009 stattfand, nicht mehr für sich. Vorgelagert zum 11. Mal der Bremer Filmpreis, diesmal an Nina Hoss, sowie – zum 3. Mal – ein Kolloquium von NachwuchswissenschaftlerInnen. Nachgelagert, erstmalig, eine von der Bundeszentrale für politische Bildung verantwortete ›Interdisziplinäre Tagung Film als Teil der schulischen Bildung‹.
Sieht man von den Bremer VIPs ab, für die selbstverständlich die Preisverleihung das Kernstück der gesamten Veranstaltung gewesen sein dürfte, so kann davon ausgegangen werden, dass nach wie vor das Symposium im Zentrum steht, wenn auch angesichts der vielen Nebenaktivitäten eine gewisse Gefahr der Zerfledderung nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

›Filmvermittlung‹ ohne Lobby?
Bildung und Bildungsvermittlung sind ja zur Zeit in aller Munde, kein Wunder also, dass auch die ›Filmvermittlung‹ sich regen Zuspruchs erfreute. Gleichwohl blieb ständig präsent, dass man sich bewusst ist, dass ›Filmvermittlung‹ nach wie vor für weite Teile der für Bildung Zuständigen kein Thema ist und es etwas von Don-Quijoterie hat, sich dennoch unverdrossen dafür einzusetzen.
Nicht verwunderlich auch, dass diesmal die praxisbezogenen Vorträge gegenüber den eher akademisch gefärbten theoretischen Ansätzen bevorzugt wurden, allen voran die Vermittlungsentwürfe einiger Filmmuseen aus Wien, London und Paris. War es Zufall, (böse?) Absicht oder einfach der Tatsache geschuldet, dass es kein überzeugendes Filmvermittlungskonzept eines deutschen Filmmuseums gibt, dass diese nicht vertreten waren? Diejenigen, die das Ihre vorstellten, zeigten auf, dass es durchaus unterschiedliche Wege gibt zum gleichen Ziel zu kommen.

Konzepte von Filmmuseen
vom_kino_lernen02Cary Bazalgette vom British Film Institute präsentierte eine Reihe von Kurzfilmen, die, gestaffelt nach Altersgruppen, bei der Filmerziehung eingesetzt werden, eine Methode, gegen die nichts einzuwenden ist. Allerdings fand ich die Filmbeispiele generell doch ein wenig zu simpel.
Überzeugter war ich vom Konzept der Cinémathèque Française, das Nathalie Bourgeois vorstellte. Hier werden aufeinander bezogene Filmausschnitte zu einer zwei- bis dreistündigen Unterrichtseinheit zusammengefügt, die bestimmte Motive oder Aspekte behandeln und verdeutlichen und außerdem den Appetit anregen sollen, diesen oder jenen Film ganz sehen zu wollen.
Ein anderes Projekt führte 1995 aus Anlass des 100. Geburtstags des Kinos zu einem 60-minütigen Kompilationsfilm unter der Regie der Vortragenden: Jugendliche im Alter zwischen 10 und 18 Jahren wurden angeregt, mit starrer Kamera je eine Minute dauernde Aufnahmen ›à la Lumière‹ zu machen. 60 davon wurden ausgewählt und zusammengestellt und ergaben ein auch auf dieser Tagung viel bestauntes Stück Kino.
Im Österreichischen Filmmuseum bietet man seit 2007 im Rahmen eines Programms ›Schule im Kino‹ Schulklassen eine Projekteinheit ›From Silence to Sound‹ an, eine für Jüngere, eine andere für die Älteren. Letztere wurde den Tagungsteilnehmern als Beispiel präsentiert – von Dominik Tschütscher als ›Conférencier‹ und Gerhard Gruber am Piano. Die als Modul konzipierte (unterhaltsame) Veranstaltung beginnt mit Ausschnitten aus einem Tonfilm der Gegenwart, in diesem Fall Scorseses ›Aviator‹, als Analyse-EinstiegEinstieg und Anreißer. Es folgen Ausschnitte aus Filmen von Lumière und Méliès, jeweils unterbrochen von einem Frageund Antwortspiel, schließlich die vollständige Vorführung des 20minütigen Stummfilms Big Business mit Laurel & Hardy und Klavierbegleitung.
vom_kino_lernen03Michael Loebenstein, ebenfalls vom Österreichischen Filmmuseum, ging es in seinem Vortrag, ›Filmdokumente zur Zeitgeschichte‹, ausnahmsweise nicht um Filmvermittlung, sondern um ein ›vom Kino lernen‹, indem er eine andere Aufgabe eines Filmmuseums vorstellte: das Sammeln von (ephemeren und privaten) zeithistorischen filmischen Dokumenten, mit deren Hilfe sich ein differenzierteres Bild historischer Ereignisse herstellen lässt. Als Beispiel wählte er den ›Anschluss‹ Österreichs ans Dritte Reich: Kontrastierend zu der offiziellen Darstellung des Ereignisses in der zeitgenössischen Wochenschau zeigte und analysierte er ein (anonymes) privates Home-Movie: Wiener geselliges Leben in einem Außenbezirk am Tag des ›Anschlusses‹.
Filmvermittelnde Filme zeigt zuweilen das Fernsehen. In Berlin gibt es einen Verein, ›Entuziazm e.V.‹, der sich mit der Kunst der Vermittlung befasst. Er sammelt filmvermittelnde Filme. Stefanie Schlüter und Stefan Pethke stellten ihr Projekt vor: an Hand von Fritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder und verschiedener Beiträge, die eine Analyse von M zum Inhalt haben.

Tausendsassa der Filmvermittlung
Alain Bergala ist ein Tausendsassa der Filmvermittlung. Er war schon Chefredakteur und Leiter der Schriftenreihe der ›Cahiers du Cinéma‹, Kinoberater des seinerzeitigen französischen Kulturministers Lang, Kurator von Filmreihen, selbst Filmemacher, Autor diverser Bücher zum Film und ist zur Zeit Dozent an der Sorbonne und Inhaber des Lehrstuhls für Filmanalyse an der Filmhochschule Fémis. Außerdem gibt er zur Zeit filmpädagogische DVDs heraus, in denen er neue Wege der Vermittlung geht: nichtverbale Wege, die allein auf Anschauung gegründet sind: Der Betrachter soll begreifen, indem er sieht. Indem er hinsieht, begreift er.
Das setzt freilich eine präzise, zielgenaue Zusammenstellung des Materials voraus, Filmausschnitte, die sich ergänzen, indem sie bestimmte Aspekte variieren und weiterführen, und eine Aufgliederung in Kategorien und Darstellungsformen. Arbeitsweise und Methode der Aufbereitung erläuterte Bergala, indem er seine DVD zum ›Point de vue‹ – das meint den Kamerablick, die Perspektive einer Einstellung oder Sequenz – präsentierte.
Die französischen Referate wurden simultan ins Deutsche übersetzt; zeitweise die Diskussion gleichzeitig in drei Sprachen geführt. Das alles verlief reibungslos, ohne Gestotter – dank der wachen Gegenwart der Übersetzerin Andrea Kirchholtz. Auch das sollte einmal Erwähnung finden.
Willi Karow

Bild 1: (links:) Karl-Heinz Schmid, Alfred Tews (beide Kino 46), (hinten:) Bettina Henzler, Winfried
Pauleit (beide Uni Bremen), (vorn:) Christine Rüffert (Kulturverwaltung Bremen)
Bild 2: Cary Bazalgette vom BFI
Bild 3: Österreicher unter sich: Dominik Tschütscher und Gerhard Gruber
alle Fotos: Kino 46

Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 23. Februar 2010 um 11:35 Uhr