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Carsten Aschmann über seinen neuen Film
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Ketamin - hinter dem Licht von Carsten Aschmann

Der hannöversche Filmemacher Carsten Aschmann gewann dieses Jahr auf den 55. Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen mit dem Film Ketamin - Hinter dem Licht einen der beiden Hauptpreise der Internationalen Jury. Aus diesem Anlass führte Agnieszka Jurek mit ihm ein Interview. (Agnieszka Jurek und Carsten Aschmann leben und arbeiten seit 15 Jahren zusammen.)

Agnieszka Jurek: ›Ketamin - Hinter dem Licht‹ – was verbirgt sich hinter diesem Titel?
Carsten Aschmann: Ketamin wurde eingesetzt um Leute zu narkotisieren und Schmerzen zu lindern. Aber da Ketamin auch eine Droge ist und Rauschzustände verursacht, gab es noch andere Beigaben, die dies wiederum unterdrückten. In reiner Form konsumiert führt die Einnahme zu halluzinatorischen Zuständen. Es entstehen Realitätsverschiebungen, die Körperempfindungen werden irreal usw. Ich habe es nie selber genommen – sondern benutze es in meinem Film als Metapher.

AJ: freiheit01Es geht in deinem Film um Schönheit, um Verfall. Wir reisen durch Tunnel und an Berglandschaften vorbei... man hat das Gefühl, dass der Film eine Reise zum Tod ist. Ausserdem hast Du den Film jemandem gewidmet. Kannst Du mehr dazu sagen?
CA: Als ich meine Bänder sichtete, die ich im Sommer 2008 aufgenommen habe, stellte ich fest, dass jetzt die Zeit für die Widmung gekommen war, die ich schon lange im Kopf hatte. Jürgen Thomas war ein sehr guter Freund von mir, der 1995 an Krebs verstorben ist. Das hat geholfen die Tür zur inneren Ordnung der Bilder aufzustossen.
(Jürgen Thomas war Filmemacher und Gründungsmitglied des Film & Medienbüros.)

AJ: Obwohl der Film eine persönliche Widmung trägt, wirkt er auf mich sehr universell. Soweit ich es mitbekommen habe, hat jeder, der deinen Film bis jetzt gesehen hat, ihn anders empfunden und ihn anders verstanden. Wie geht es dir damit?
CA: Ich bin für die Freiheit des Zuschauers, es gibt da von mir überhaupt kein Diktat. Dass ein Film bereits eine Manipulation ist, das ist klar. Film manipuliert immer. Aber ich versuche die Quellen, z. B. die Texte, so einzubauen, dass jeder Zugriff auf diese Gedanken hat. Die waren vorher in grösseren, komplexeren Gedanken-Gebäuden drin, und ich präsentiere sie in Extrakten, die so funktionieren, dass man nicht wissen muss, wer z. B. Karl Popper, gewesen ist. Das heißt die Zuschauer können die hier versammelten Zitate auf ihre Verständnisebene runter holen.
Das gilt noch mehr für Bilder, die untereinander große Verbindungsenergien besitzen. Davor haben viele Angst - auch wegen einer Austauschbarkeit. Bilder bzw. Filme sind nie endende Möglichkeiten. Die eigentliche Gefahr ist doch, wenn sie keinen Absender und Empfänger mehr haben, also nur noch ein Produkt sind. In vielen Spielfilmen kann man das gut beobachten.
Ihre Sprache besteht aus vielen Gesetzen und Regeln. Übrig bleibt oft eine Struktur, die dann zwar in sich funktioniert, und doch leer bleibt, und mich nicht mehr abholt.
Auch Stereotypen müssen gelebt werden. Wenn Film nur noch Matrix ist, bin ich traurig. Deshalb liebe ich den Experimentalfilm.
In Ketamin geht es mir darum, dass wir uns auf einer Reise befinden auf den Punkt X zu, über den wir aber nicht weiter hinauskommen können, den wir nicht überschreiten können - wir sind im Hier und Jetzt.

freiheit03AJ: Es gibt so viele Aspekte in deinem Film, die existentielle Ebene, Gedanken über die Nahrung, eine politische Ebene, Gedanken über die Gewalt... Kannst Du uns mehr zur Entstehungsgeschichte deines Films sagen?
CA: Ketamin ist in der Reihe meiner Video- Tagebücher entstanden. Dort hat sich ein Ansatz entwickelt, dass ich die Bilder mache, und auf der Ton-Ebene Found Footage- Texte anlege. Im Prinzip spreche ich durch diese Stimmen zum Zuschauer. Deshalb muss ich manchmal sehr lange suchen, damit die Stimmen das sagen, was ich hören will. So entsteht ein kollektiver Schwarm. Ich kreiere aber auch eigene Sounds. Sound-Editing generell ist sehr wichtig.

AJ: Wo kann man sich deinen Film anschauen?
CA: www.hula-offline.de. Hula-Offline ist mein Label und Netzwerk seit 2003.

AJ: Ganz zum Schluss möchte ich dich fragen, wie Du die Entwicklung der kulturellen Filmförderung in Niedersachsen einschätzt, nach der Entstehung der nordmedia, die ja in meinen Augen eine rein wirtschaftliche Filmförderung macht?
CA: Ich habe selbst unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Da gibt es einerseits tolle HD-Workshops und amüsante Mediatalks. Andererseits ist die nordmedia ein Tummelplatz für so genannte ›Professionals‹ geworden, für die Film nie eine ästhetische oder politische Plattform gewesen ist, sondern ein sexy Business Seat. Ich habe dort schon viele gute Projekte vorgeschlagen, die dann nicht realisiert worden sind. Da darf man sich von der einen oder anderen Förderung interessanter Stoffe nicht blenden lassen.
Niedersachsen, im speziellen Hannover, muss aufpassen. Früher oder später ist die Verödung und Abwanderung einer noch unabhängigen und kreativen Filmszene nicht mehr zu stoppen. Ich sehe innerhalb der nordmedia kaum Kräfte, die das umkehren wollen. Das Ganze wäre sicher einen eigenen Artikel wert.

Bild: Carsten Aschmann

Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 23. Februar 2010 um 11:50 Uhr