Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2009 Vorspann Rundbrief 95
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Der ›Fall Heinze‹ bzkarl_2010w. das ›System Heinze‹ beschäftigt wie kaum ein anderer Medien-Skandal die Medienschaffenden und die Medien. Dabei geht es nicht mehr nur um den nachgewiesenen mehrfachen Betrug von Doris Heinze. Sie sorgte dafür, dass Drehbücher des Phantom-Autoren Niklas Becker für ARD-Fernsehspiele angekauft wurden. Hinter Becker steckte ihr Ehemann. Sie selbst schrieb unter dem Pseudonym Marie Funder Drehbücher. Das Drehbuch für den vom NDR nicht realisierten Film ›Dienstage mit Antoine‹ verkaufte sie sogar zwei mal, zunächst als Marie Funder an AllMedia in München und darauf als Doris Heinze an Network Movie. Dies war die (vorläufig) letzte Enthüllung. Im NDR wird weiter überprüft. Frau Heinze ist seit Ende August 09 vom Dienst suspendiert und wurde inzwischen fristlos gekündigt.

Wir können hier nicht die ganze spannende und zum Teil auch unglaubliche Geschichte noch mal erzählen und verweisen hier auf die vielen guten Beiträge in der Süddeutschen Zeitung, der FAZ, Spiegel online oder anderer Zeitungen. Auf unserer gerade etwas gelifteten Internetseite www.filmbuero-nds.de finden sich Links zu den interessantesten Beiträgen.
Im Mittelpunkt des Interesses steht die Frage, wie das alles im NDR über Jahre geschehen konnte, ohne bemerkt zu werden und wie eine leitende Angestellte des Öffentlich-Rechtlichen (d. h. gebührenfinanzierten) Rundfunks über Jahre ihr ›System Heinze‹ aufbauen konnte.
Ich persönlich hoffe (ist das wieder mal naiv), dass an erster Stelle der NDR, aber auch insgesamt die Öffentlich-Rechtlichen Sender und auch die Privaten zukünftig Betrug, Vetternwirtschaft, Seilschaften und Intransparenz verhindern und die erforderlichen Konsequenzen aus dem ›System Heinze‹ ziehen. Wie dieses System funktioniert hat, ahnten viele, handfeste Beweise gab es kaum oder die wissenden Personen wollten diese Beweise nicht öffentlich machen, aus Angst vor Repressalien.

Mauer des Schweigens eingestürzt
Nun ist mit großem Getöse die Mauer des Schweigens und Verdrängens eingestürzt, die seit vielen Jahren um das System Heinze errichtet wurde und es auch geschützt hat. Auch ich habe mich ja irgendwann damit abgefunden, dass Doris Heinze im NDR und auch in den Gremien, in denen sie den NDR vertrat, nach Belieben schalten und walten konnte. Dass dabei häufig ein Umgangston herrschte, bei dem Neulingen oder etwas empfindlicheren Gemütern schon mal die Spucke weg blieb, gehörte zum System Heinze dazu, wobei ich mich häufiger fragte, ob es nicht auch ein ›System NDR‹ war, denn Doris Heinze war nicht die einzige, die Eiskalt unbequeme Personen öffentlich bloßstellen und abservieren konnte.
Auch Mitglieder des Film & Medienbüros mussten entsprechende Erfahrungen machen. Plötzlich waren die bei der Förderung eingereichten Projekte nicht mehr gut genug, die Kommunikation wurde rauher. Die Ablehnung von Anträgen wurde und wird, wenn überhaupt, mit der mangelnden Qualität begründet. Dass Qualitätskriterien auch sehr subjektiv sein können und gerne benutzt werden, um missliebige Personen auszuschalten, kann am Beispiel des Polizeiruf 110 sehr anschaulich studiert werden. Laut Süddeutscher Zeitung beschwerte sich der Schauspieler Uwe Steimle, der jahrelang den Hauptkommissar Hinrichs gespielt hatte, immer öfter über die Qualität der Polizeiruf-Drehbücher. Das Buch zu ›Die armen Kinder von Schwerin‹ gab ihm den Rest. Er schrieb von Hand an die Produzentin, eine Vertraute von Doris Heinze: ›Null Humor, keine guten Dialoge, ein Mord geschieht, ohne dass er mich berührt, dieses Buch ist unzumutbar.‹ Steimle erhielt eine Einladung in den NDR, wo ihm Frau Heinze in Anwesenheit des Unterhaltungschefs Thomas Schreiber mitteilte, dass die ARD für ihn ›keine Versorgungsanstalt bis zur Rente‹ sei. Steimle war seinen Job los. Erst jetzt stellte sich heraus, dass das von ihm kritisierte Buch Doris Heinze entwickelt hatte.

Fall Heinze: Chance für den NDR heinze
Der NDR hat noch einiges aufzuarbeiten und er muss vor allem das verlorene Vertrauen von AutorInnen, RegisseurInnen und ProduzentInnen in den NDR als offenen Partner wieder herstellen.
Dabei gibt es mehrere Baustellen: Zunächst darf sich der NDR nicht einmauern, nach dem Motto, wer uns kritisch befragt ist gegen uns. Die jüngsten Äußerungen des Intendanten Lutz Marmor in der Süddeutschen Zeitung vom 12.09.09 sind ein hoffnungsvoller Hinweis, dass im NDR tatsächlich eine neue Unternehmensphilosophie und Kommunikationskultur Einzug hält. ›Wir müssen intern und extern Widerspruch aushalten können und nicht bestrafen,‹ sagte Lutz Marmor in der Süddeutschen.
Dabei sind auch die Aufsichtsgremien des NDR gefragt. Der Verwaltungsrat und der Rundfunkrat müssen im Rahmen ihrer Möglichkeiten für mehr Offenheit und Transparenz sorgen, die Diskussion mit Vertretern von Medienverbänden suchen und zusammen mit den leitenden ProgrammmitarbeiterInnen Antworten auf die Fragen suchen, wie die Zukunft des NDR in fünf oder zehn Jahren aussehen kann.
Zweitens sollte der NDR, die ARD und das ZDF verhindern, dass jemand innerhalb der Sender wieder so eine enorme Machtstellung aufbauen kann wie in der Süddeutschen vom 5./6.09.09 beschrieben: "Über berufliche Schicksale entscheiden Menschen wie Heinze, indem sie den Daumen heben oder senken. Verwandte und Freunde werden großzügig bedient, wer renitent oder ein bisschen zu eigenwillig ist, muss die Bühne verlassen". Der Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates Karl-Heinz Kutz, hat auf unsere Anfrage versichert, dass sich das Gremium auch mit diesen Vorwürfen befassen wird.
Für die Süddeutsche Zeitung "zeigt der Fall Heinze nur einen Ausschnitt jener Realität, in der Künstler heute arbeiten". Dazu der Verband der Drehbuchautoren: "Das System unkontrollierter Machtfülle in der ARD hat eine ganze Branche in die Abhängigkeit von Redakteuren gezwungen. Diese können willkürlich entscheiden, wer was schreibt, wer inszeniert, wer spielt und wer produziert. Die Konsequenz sind Unterwerfung und Phantasielosigkeit, was zu einer Verschmonzettung der Programme geführt hat." (SZ, 5./6.9.09)

Dominik Graf, der gerade die zehnteilige ARD-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ fertigstellt, spricht von „der fehlenden Balance des ganzen Filmsystems: Nahezu die komplette faktische Entscheidungsmacht über die deutschen Filme liegt inzwischen beim Fernsehen, namentlich beim öffentlich-rechtlichen. Und einige Spitzenkräfte dort sind mit dieser einsamen Position offenbar auch charakterlich überfordert. Meiner Ansicht nach herrscht aber ein unausgesprochener Krieg in den Sendern. In diesem Krieg gibt es klassisch böse Apparatschiks, die ein zu Tode strukturiertes Programm erzwingen wollen, und auf der anderen Seite gibt es nach wie vor echte Kämpfer für eine lebendige Filmkultur. Je mehr man dies zu unterscheiden lernt, und je mehr man von außen diesen Kämpfern zu Hilfe kommt und je präziser man den gnadenlosen Angriff der ebenso bürokratischen wie quotengeilen Klotzköpfe auf das TV-Programm brandmarkt - umso mehr tut man Gutes für den deutschen Film, glaube ich.“ (Quelle: FAZ.Net, 11.09.09) Drittens sollten mehr Aufträge an unabhängige Produzenten vergeben werden. So fordert der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler nach dem Vorbild Großbritanniens eine Quote von 20 Prozent für freie Produktionsfirmen. Vorstandsmitglied Hans- Werner Meyer: "So lange das Film-Geschäft so organisiert ist wie heute, werden Fälle wie Heinze immer wieder passieren. Das Problem ist gar nicht so sehr eine Redakteurin, die sich selbst Aufträge zuschanzt, sondern dass es in der Branche keinen echten Wettbewerb gibt." Das gelte vor allem für die Öffentlich-Rechtlichen. Sie produzieren Meyer zufolge ihre Filme hauptsächlich über ihre Tochterfirmen. (WAZ)
Viertens geht auch auch um Qualität.

Doris Heinze war vor Jahren an dem berüchtigten ARD-Papier beteiligt, in dem steht, dass alle Filme, die in der ARD gezeigt werden, sofort verstanden werden müssen, dass sie eine bestimmte Länge nicht überschreiten dürfen und dass Motive sich in bestimmten Abständen wiederholen müssen. Die Zuschauer sollten weder ästhetisch noch inhaltlich gefordert werden. Die Freitagsfilme sind hierfür ein gutes Beispiel. Dass gebührenfinanziertes Programm mehr bieten muss als eine Kopie der privaten Konkurrenz sollte zukünftig wieder im Vordergrund stehen.
Die Fortsetzung finden Sie auf Seite 7. Darüber hinaus bietet der Rundbrief weitere spannende Themen. Wir freuen uns auf Zuschriften.

Karl Maier

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otos: www.angelavonbrill.de und www.kerstin-hehmann.de

Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 24. Februar 2010 um 13:23 Uhr