Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2008 Hochschule für Bildende Künste Braunschweig
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beim 22. Internationalen Filmfest Braunschweig

Die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig war beim diesjährigen 22. Int. Filmfest Braunschweig wieder gut vertreten. Julia Ostertag, eine Absolventin der HBK, stellte ihren Langfilm Saila vor. Dem ebenfalls in Braunschweig ausgebildeten Volker Schreiner war ein Porträt gewidmet. Und wie in den vergangenen Jahren präsentierte sich die Filmklasse der Hochschule mit ihrem Jahresrückblick, 13 Beiträge diesmal, und zum zweiten Mal betreut von Michael Brynntrup, dem neuen Lehrer der Filmklasse. Inwieweit sich sein Einfluss in den Arbeiten niedergeschlagen hat, ist von außen nur schwer zu beurteilen, denn nach wie vor bleibt es den Einzelnen überlassen, welche Themen sie auf welche Weise darstellen wollen. Möglich, dass es seiner Anregung zu verdanken ist, dass wieder mehr Filme auf Super 8 und 16mm entstanden sind. Die Bearbeitung erfolgt inzwischen fast ausnahmslos digital. Auffallend, dass abstrakte Inhalte und strukturelle Analysen offenbar zur Zeit kein Thema sind.
Das gilt selbst für eine ansatzweise noch am ehesten als abstrakt zu bezeichnende Arbeit wie 4280 von Philip Häniche. Man sieht, wie in ziemlicher Geschwindigkeit ein Film – bestehend aus den im Titel genannten 4280 Einzelbildern? – an einem Bildfenster vorbeigezogen wird, man sieht ständig die Perforation, die abgebildeten Objekte scheinen sich zu bewegen, sich zu drehen: Kameras, Fotoapparate, Stative – das Rüstzeug des Fotografen und Filmemachers in vordigitaler Zeit.

Einzel- und Bewegterbilder
Auch eher im formal Abstrakten bewegt sich Erhabener Raum von Dimas Arif Nugroho. Die Leinwand ist horizontal zweigeteilt. Links eine Farbaufnahme, beispielsweise die der Braunschweiger Schlossattrappe oder die des Burgplatzes, als Totale in einer einzigen Einstellung vom Stativ aus gefilmt (Postkarteneffekt), rechts daneben dasselbe Motiv, aber aus leicht verschobener Perspektive, nun in Schwarzweiß und mit einer Handkamera aufgenommen, dazu Zwischenschnitte auf Details des Motivs. Das Nebeneinander dieser beiden Bilder ergibt eine merkwürdige mehrdeutige Spannung. Der Eindruck entsteht (das ist eine der möglichen Deutungen), als sei im Farbbild die Gegenwart gefasst, bei den Schwarzweißaufnahmen handle es sich aber um historisches Material, doch weiß man gleichzeitig, dass sie ebenfalls die Gegenwart verkörpern.

Ausgangspunkt: Dokumentarmaterial
hbk_bs01In Topaana von Manuela Büchting entsteht eine vergleichbare dialektische Spannung aus dem Nebeneinander von Ton und Bild. Topaana ist ein ärmlicher Stadtteil von Skopje, in dem sich die Filmemacherin längere Zeit aufhielt. Sie berichtet aus dem Off von den Menschen, die dort leben, ihren Träumen, ihren Sehnsüchten, den Hochzeiten, die sie feiern, während gleichzeitig die dokumentarische Kamera die ärmlichen Häuser und Gassen des Viertels erfasst, allesamt menschenleer, ohne Autos, ohne sonstiges Leben außer streunenden Hunden. Der Film lebt vom Kontrast, Ton und Bild bespiegeln sich wechselseitig, verlaufen parallel zueinander und erzählen auf unterschiedliche Weise vom Hier und Jetzt, von ein und demselben.
hbk_bs02A través del espacio von Nina Martin scheint hingegen von etwas sehr Entferntem zu berichten, von etwas, das sich anschickt, sich hinter einem Schleier des Gewesenseins zu verflüchtigen. Die Filmemacherin erzählt von ihrer Reise ins Amazonasgebiet, der Begegnung mit den Menschen dort, auch Gesänge der Eingeborenen sind auf der Tonebene zuweilen eingestreut. Das Bild zeigt tropische Landschaft, ein Gewässer, auf diesem ein Boot, das runzlige Gesicht einer alten Frau und wie sie redet, einen Schamanen, der erzählt. Das schwarzweiße Bild ist manchmal überbelichtet, manchmal unscharf und vor allem trägt es die Spuren der Vergänglichkeit des empfindlichen Filmmaterials: Schlieren, Fuseln, chemische Zerstörungen. So präsentiert man keinen Dokumentarbericht, keine ethnographische Studie. Schon eher einen Traum, eine Sehnsucht, eine verblassende Erinnerung.

Trauerarbeit
Dem drohenden Verblassen es entreißen: das durch den Tod Entrissene. Das ist das Thema des Beitrags von Felizitas Zechmeister, Ain’t no Sunshine when She is gone. Die Filmemacherin berichtet vom Tod einer Freundin während eines gemeinsamen Aufenthalts auf Teneriffa. Noch vor zwei Tagen hatte sie Geburtstag. Nun findet man sie tot in der Badewanne. Ein Unglück, kein Suizid. Anna war lebenslustig. Wie verarbeitet man das? Natürlich liegt vom Ereignis selbst kein Dokumentarmaterial vor. Man behilft sich mit Dokumentarmaterialersatz. Und es funktioniert.
hbk_bs03Der Film beginnt mit Flugzeuggeräusch, das geht über in Meeresrauschen und das Zirpen der Grillen. Begleitet wird der Ton von einem Staccato von Bildern, die scheinbar wahllos blitzschnelle Eindrücke vom Urlaub auf Teneriffa zusammentragen, Versatzstücke einer Urlaubsrealität aus diversen Quellen, die gleichwohl das bewirken, was sie bewirken sollen: das Ambiente von Ferien zu generieren. Die Ereignisse am Todestag, exakt angegeben mit 21. 5. 07, werden durch Bilder vergegenwärtigt, die nun langsamer aufeinander folgen, immer wieder unterbrochen von Schwarzfilm, Bilder des Hotels, des Zimmers, der Badewanne, auch das Foto der Freundin zuweilen.
Trauerarbeit ganz anderer Art leistet Cheese von Jin Cei, jedenfalls dürfte es nicht falsch sein, die dem Film eingeschriebene Melancholie als Trauerarbeit zu verstehen. Cei arbeitet vorwiegend mit dokumentarischem Found Footage. Ihr Sujet: der Platz des himmlischen Friedens in Peking, das Herz Chinas, der Ort, an dem jeder, der sich der Heimat verbunden fühlt, einmal gewesen sein möchte, ein Ort auch von diversen, auch düsteren Ereignissen. Auf diesen Platz möchte die Filmemacherin stolz sein. Aber kann sie das? Der Film ist in Kapitel eingeteilt, gleichzeitig auch die Leinwand in rechts und links: links die Bilder, rechts die deutsche Übersetzung des Off-Kommentars und -Dialogs. Die Bilder zeigen Alltag, Massen auf dem Platz (Kapitel ›Er‹), Radfahrer, Schirme, Bewegung (›Ich‹), den Protest der Studenten, bevor geschossen wurde (›Du‹), eingefrorene Momentausnahmen, eine Fahne auf Halbmast (›Wir‹) und – ›Cheese‹: ›Willst du eine Foto machen?‹, fragen er und sie gleichzeitig und sie antworten beide: ›Ja.‹ Aber das Bild bleibt schwarz.
hbk_bs04Ceis Film zählt wie auch der von Nina Martin zu jenen Arbeiten, die mit Hilfe von Dokumentarmaterial nicht so sehr Bezug nehmen wollen auf eine äußere Realität (es geschieht dies gleichwohl trotzdem), als vielmehr auf sich selbst. Sie wollen einen inneren Raum abstecken, die eigene Befindlichkeit (Trauer, Befremden) steht im Mittelpunkt des Interesses.
So auch in Maguelone von Estelle Belz. Auch sie nennt ein exaktes Datum: 25. 12. 07. Sie ist nach Maguelone, an den Strand ihrer Herkunft zurückgekehrt. Den filmt sie, filmt die Wogen, wie sie sanft auflaufen und Schaum zurücklassen, der keinen Bestand hat, filmt die Muscheln im Sand, die Steine, die vom Wasser gerundet sind. Der Strand ist menschenleer. Nur zuletzt läuft ein Knabe ins Bild, der Steine ins Wasser wirft. Ihren Kommentar hat die Filmemacherin als Schrift ins Bild kopiert. Da heißt es etwa. ›Wenn von den Nixen nur noch ein bisschen Schaum übrig bleibt, was wird dann bleiben von meiner Erinnerung?‹

Selbstinszenierungen: Den inneren Raum abstecken
hbk_bs05Den eigenen inneren Raum abstecken – was wäre dazu besser geeignet als eine Inszenierung, vorzugsweise die Selbstinszenierung. Selbstinszenierung kann natürlich auch das Gegenteil sein: ein Aussperren von Innenraum. So bei Per Olaf Schmidt, der in My Shiny Piece es auf Nonsens pur angelegt hat. Auf dem Boden hockt eine Frau, jedenfalls weist eine blonde Perücke sie als solche aus, und klimpert auf einer Minigitarre. Die Musik kommt trotzdem aus dem Off. Zwei in Glitzerklamotten gekleidete Männer bewegen sich tanzend im Vordergrund. Die Kamera beobachtet das ohne offensichtliches Interesse. Solche Totalverweigerung von Sinn und Zusammenhang – vielleicht drückt sie ja doch da auch ein Innenraum aus?
hbk_bs06Eine Frau liest aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 13, den Passus über die Liebe. Sie liest in einer Fremdsprache, die ich nicht verstehe; der deutsche Text ist eingeblendet. Zu sehen ist nur ihr Kopf. Der bleibt gesenkt. Ab und zu unterbricht sie das Lesen und gibt sich eine Ohrfeige. Dann mehrere, dann viele. Schließlich wirft sie das Buch weg: es ist klar, sie kann den Ansprüchen des ›Hohen Lieds der Liebe‹ nicht genügen. Es ist der Film Pengakuan (Die Beichte) von Rani Prawiradinata.
In Soekma (Die Seele) von Deny Tri Ardianto konstituiert sich der Innenraum als Tanzperformance in Verbindung mit jener Landschaft, in der sie stattfindet. Dies ist zunächst eine Dünenlandschaft am Meer, Strandhafer im Wind, Wellen, die ans Ufer plätschern. Später ein Wald mit Wasserläufen, dann ein mächtiger Baum, der wie ein Wesen wirkt. Der Tänzer ist weiß gekleidet. Zuweilen treten mehrere schwarzgekleidete und maskierte Tänzer auf, wie ausschwärmende Gewissenbisse oder wie die Erinnyen, jedenfalls Irritationen. Die synthetische Musik erzeugt eine mystische Stimmung, begleitet das Geschehen, das vieldeutig bleibt, zumindest für den europäischen Betrachter, der vermutlich die Feinheiten der Expression nicht immer nachvollziehen kann.
Vieldeutig auch der Beitrag Milch von Wandra Dubau, um nicht zu sagen: mit viel Bedeutung aufgeladen. Allerdings wiegt diese Aufladung mit dunklem Sinn nicht schwer, denn das Weiß der Milch überstrahlt jede Dunkelheit. Zu sehen ist eine Frau. Irgendwann geht sie zum Kühlschrank. Im geöffneten Kühlschrank sieht man sechs volle Flaschen Milch, sonst nichts.
hbk_bs07Die Frau trinkt aus einer Flasche. Die Milch rinnt ihr weiß das Kinn herab. Man sieht sie irgendwann auf dem Boden sitzen, neben sich schon einige leere Flaschen und sie trinkt immer noch. Dann sieht man sie im Bad. Die Wanne, in der sie liegt, scheint voller Milch zu sein. Dort taucht sie unter, als wolle sie in Milch ertrinken. Später liegt sie dann im Bett, zugedeckt. An der Seite, in Höhe ihres Schoßes rinnt Milch unter der Decke hervor, bildet auf dem Fußboden eine Lache: weiße Menstruationsmilch sozusagen. Ein Film in schwarzweiß. Wenn in anderen Filmen rot fließendes Blut die Akzente setzt, so hier das Weiße der Milch, das sämtliche Grautöne dominiert. Die Inszenierung gibt sich schwerelos, leicht, mit ironischer Distanz, bleibt aber ambivalent, was auch die Tonspur unterstreicht, ein verhaltener, auch hier wie schwerelos gesummter Singsang.

Ein Spiel im Dunkeln
Ambivalent auch der Film Die Welt zählt laut bis 10 von Stef Füldner. Ebenfalls Ironie und Distanz. Aber, um es bildlich zu sagen, hier haut jemand kräftig auf die Pauke. Eine männliche Off-Stimme erzählt von einer Frau, die nach Berlin fuhr und sich dort wegen eines Boderlinesyndroms in eine Klinik begab, an einem 20. Dezember, sich aber nicht eingewöhnen konnte und ein paar Tage später die Klinik ohne Therapieerfolg wieder verließ.
Am 31. Dezember feiert sie mit ihrer WG Silvester. Eine, wenn man es recht bedenkt, todtraurige Geschichte, die aber durch die Bildkomposition kontrapunktisch gebrochen wird. Man sieht die Frau nicht, aber die Bilder begleiten sie auf ihrem Trip, als konkrete Zeichen, vom Individuellen abstrahiert, eine bunte Mischung aus Realaufnahmen, Animation und Found Footage aus dem TV. Auf diese Weise mokiert sich der Film über die Zustände, die die Frau antrifft, und ist überhaupt so etwas wie ein Gemotze über den allgemeinen Zustand der Welt.
Dieser letzte Film im Programm ist schwarz. Noir heißt er, stammt von Mirko Martin und ist auf den ersten Blick eher ein Hörspiel als ein Film. Es ist Nacht in Los Angeles. Man hört Hubschraubergeräusche, andere Motorengeräusche, Schüsse. Zwei Männer unterhalten sich. Sie sind offenbar vom Lärm aufgeweckt worden, sind vor die Tür getreten, verfolgen vom Rande her das Geschehen, bei dem es, wie dem Gespräch zu entnehmen ist, darum geht, jemanden zu verhaften. Möglicherweise ist der Verfolgte auch schon tot. ›They killed `em‹, stellen sie fest, dann gehen sie wieder ins Bett.
Ein Bild verweigert der Filmemacher dem Betrachter. Aber er bietet ihm wenigstens den Dialog als Schriftbild auf Schwarzfilm zusätzlich zum Gehörten. Macht ihn das zum Film? Zum Hörfilm? Genügt das? Jedenfalls steht fest, dass das, was man sieht und gleichzeitig nicht sieht, als Film erlebt wird.
Derek Jarman hatte vor Jahren mit Blue etwas Ähnliches gemacht. Der Farbe blau waren Off-Stimmen unterlegt, die aus Jarmans Tagebüchern lasen. Hier hingegen wirkt der Dialog, woher er auch stammen mag – aus einem Film, einem Hörstück, selbst produziert? – paradoxerweise wie on screen. Einbildung? Wie man sich auch einbildet, trotz der Bildverweigerung, das Geschehen nachgerade ›sehen‹ zu können? Nun denn: Was macht einen Film zum Film?

Willi Karow
Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 24. Februar 2010 um 14:00 Uhr