Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2007 Britische Medienpolitik als Vorbild
Britische Medienpolitik als Vorbild PDF Drucken E-Mail
brit
KLAPPE die ERSTE - David Baur / Photocase.com

Die britische Medienpolitik hat die Position der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion gegenüber den Fernsehsendern gestärkt. In Deutschland hingegen hat die Medienpolitik darauf verzichtet, der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion durch regulative Markteingriffe den Rücken zu stärken. Zu diesem Ergebnis kommt eine an der Universität Osnabrück von Sabine Elbing und Helmut Voelzkow erstellte und von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. In einem internationalen Vergleich von Deutschland und Großbritannien wurde am Beispiel der Medienstandorte London und Köln untersucht, welche Beiträge die staatliche Politik und die Wirtschafts- und Sozialpartner (Wirtschaftsund Arbeitgeberverbände sowie Gewerkschaften) zur Förderung der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion leisten.
Wir veröffentlichen nachfolgend mit Genehmigung der AutorInnen einige Auszüge.
Die Untersuchung konstatiert, dass ›die unabhängige Film- und Fernsehproduktion in Deutschland in eine ›strukturelle Schieflage‹ gegenüber den Fernsehsendern (einschließlich ihrer abhängigen Produktionsunternehmen) geraten ist‹. Die Politik unternehme zwar viel zur Förderung der Filmwirtschaft, dies helfe aber den unabhängigen Film- und Fernsehproduzenten wenig, weil ›die Machtasymmetrie zwischen den Sendern und der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion unangetastet bleibt‹.
Anders die Situation in Großbritannien, wo die staatliche Medienpolitik die Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Gruppen der Film- und Fernsehproduktion neu justiert habe.

25 %Quoten für die unabhängige Fernsehproduktion
›Um den Markt für die unabhängige Fernsehproduktion auszuweiten, ist Großbritannien in seiner staatlichen Medienpolitik weitaus stringenter vorgegangen als Deutschland. Diese gezielte Förderung der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion zeigt sich nicht nur an der Errichtung des Senders ›Channel 4‹, der seine Programminhalte von unabhängigen Produktionsfirmen beziehen muss, sondern auch an dem Sachverhalt, dass die britische Regierung den anderen etablierten (terrestrischen) Sendern Quoten für die unabhängige Fernsehproduktion vorgeschrieben hat, um den Markt für die unabhängige Fernsehproduktion auszuweiten.‹
Der Broadcasting Act von 1990 verpflichtete die terrestrischen Sender, jährlich 25% ihrer Sendezeit, gemessen in Stunden und bezogen auf ›qualifying programmes‹, an unabhängige Produzenten zu geben. Damit sollte auch eine ›neue Kreativität‹ angeregt und die Anzahl der unabhängigen Programmlieferanten erhöht werden. Die Einführung der Quote führte in Großbritannien innerhalb von sechs Jahren zu einer Verdoppelung des Programmvolumens von unabhängigen Film- und Fernsehfirmen.

In Deutschland verwies die Medienpolitik bisher auf den § 6 Abs. 2 Rundfunkstaatsvertrag (RSTV), der besagt, dass ›Fernsehvollprogramme … einen wesentlichen Anteil an Eigenproduktionen sowie Auftrags- und Gemeinschaftsproduktionen aus dem deutschsprachigen und europäischen Raum enthalten‹ sollen. Damit sei in Deutschland ›rechtlich noch nicht einmal sicher gestellt, dass die europäische Fernsehrichtlinie vollständig umgesetzt wird, wonach mindestens 10% der qualifizierten Sendezeit, oder mindestens 10% der darauf verwendeten Haushaltsmittel, europäischen Werken unabhängiger Produzenten vorbehalten werden müssten. Sowohl der Rundfunkstaatsvertrag als auch die Landesrundfunk- oder Landesmediengesetze lassen eine solche klare Quotierung von 10% bis heute vermissen.‹
›Eine solche Quotenpolitik erfordert natürlich eine klare und nachprüfbare Abgrenzung der ›unabhängigen‹ Film- und Fernsehproduktion. In Großbritannien gilt deshalb eine rechtsgültig festgelegte Definition, wonach als ›unabhängiger Produzent‹ gelten kann, wer weder Angestellter eines Senders ist, noch einen Anteil höher als 25% an einem Sender besitzt und auch nicht ein ›body corporate‹ ist, an dem ein Sender (dessen Dienste auf das Vereinigte Königreich gerichtet sind) einen Anteil von mehr als 25% hält bzw. zwei Sender gemeinsam einen Anteil von mehr als 50% besitzen.‹

Wettbewerbsnachteile für deutsche Produzenten
›In Deutschland, wo eine Quotenregulierung in rechtlich festgelegter Form nicht existiert, sieht sich die unabhängige Filmund Fernsehproduktion der Marktmacht der Fernsehsender ausgeliefert. Hier ist selbst das europäische Recht, das eine Quotenregulierung zugunsten der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion vorschreibt, sehr restriktiv umgesetzt worden. Eben diese Rahmenbedingungen führen die unabhängige Film- und Fernsehproduktion in Deutschland in unmittelbare Existenznot.
Gleichzeitig wird deutlich, dass die unabhängige Film- und Fernsehproduktion in Deutschland unter einigen strukturellen Wettbewerbsnachteilen zu leiden hat:
  • Weil Quoten, ›Terms of Trade‹ und ›Codes of Practice‹ fehlen, können die Fernsehsender die verfügbaren Finanzmittel vorzugsweise in ihre eigenen Produktionskapazitäten und die abhängigen Produktionsfirmen fließen lassen, so dass für die unabhängige Film- und Fernsehproduktion kaum etwas übrig bleibt. In Deutschland lassen die Verträge zwischen den Fernsehsendern und der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion praktisch keine wirtschaftliche Konsolidierung der Produzenten zu. Aus Sicht der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion haben sich die Vertragsbedingungen zwischen den Rundfunkanstalten und den unabhängigen Fernsehproduzenten in den letzten zehn Jahren kontinuierlich zu Lasten der Produzenten verschlechtert. Die Sender verlangen demnach von den Produzenten Leistungen, die von den Sendern nicht mehr vollständig bezahlt werden.
  • Weil die Eigentumsrechte nach der bisherigen Praxis vollständig und auf Dauer auf die Auftraggeber übergehen, hat die unabhängige Film- und Fernsehproduktion in Deutschland praktisch keine Chance, ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit über die Verwertungsrechte zu stabilisieren. (…)
  • Weil die abhängige Film- und Fernsehproduktion zum Organisationsgeflecht der Fernsehsender gehört, kann sie bei der Finanzierung ihrer Film- und Fernsehprojekte gegenüber den Geldinstituten anders auftreten als die unabhängige Fernsehproduktion. (…)
  • Weil die Fernsehsender und Repräsentanten der abhängigen Film- und Fernsehproduktion auch in den Gremien der öffentlichen Filmförderung starke Einflusskanäle und Mitbestimmungsrechte genießen, sieht sich die unabhängige Film- und Fernsehproduktion auch bei der öffentlichen Filmförderung nicht hinreichend berücksichtigt.
  • Weil die Verträge der Fernsehsender mit unabhängigen Film- und Fernsehproduzenten keine ›Gemeinkosten‹ (z. B. für die Entwicklungskosten neuer Formate oder für Qualifizierungsmaßnahmen) vorsehen, gibt es Wettbewerbsnachteile für die unabhängigen Film- und Fernsehproduzenten.‹
›In Deutschland sind die sozialen Folgen der ›strukturellen Schieflage‹ zulasten der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion nicht zu übersehen‹ (...) und führen zu teilweise ›unzumutbaren Arbeitsbedingungen‹.

Handlungsempfehlung: Änderung der ›Spielregeln‹
›Die Handlungsempfehlung an die Politik läuft auf Änderungen der ›Spielregeln‹ zwischen den Fernsehsendern einerseits und den Film- und Fernsehproduzenten andererseits hinaus, wobei aber auch die Rundbrief 87, September / Oktober / November 2007 4 F O R U M KLAPPE die ERSTE - David Baur / Photocase.com Interessen der Beschäftigten - insbesondere der selbständig tätigen Mitarbeiter - berücksichtigt werden sollten. Entscheidend ist, dass zwischen der Regulierung der Beziehungen der Fernsehsender zu den Film- und Fernsehproduzenten einerseits und den Gestaltungsmöglichkeiten der Verbände und Gewerkschaften im Hinblick auf die Beziehungen zwischen den Unternehmen der Film- und Fernsehproduktion und ihren Mitarbeitern andererseits ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Auf Grundlage des Vergleichs der Rolle der Verbände und Gewerkschaften in der Film- und Fernsehproduktion in Großbritannien und Deutschland wird vorgeschlagen, dass die Fernsehsender und die Verbände der Film- und Fernsehproduzenten auf der Grundlage von (politisch vorgegebenen) ›Codes of Practice‹ über die Mindestbedingungen in ihrem Organisationsbereich verhandeln und ›Terms of Trade‹ festlegen.
Erst in einem zweiten Schritt kann dann über die Arbeitsbedingungen und die soziale Sicherung der Beschäftigten, auch der freien Mitarbeiter, in der privaten Filmund Fernsehproduktion verhandelt werden.‹
Nach Auffassung der Autoren kann eine solche Stärkung der unabhängigen Filmund Fernsehproduzenten gegenüber den Fernsehsendern nur über eine ›prozedurale Steuerung‹ des Staates erreicht werden. Erst ein solcher rechtlicher Kontext versetzt die Verbände und Gewerkschaften in die Lage, jene Regulierungskapazitäten aufzubauen, die in Großbritannien schon längst Praxis sind.

Weitere Infos:
Sabine Elbing, Uni Osnabrück
Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! Sie müssen JavaScript aktivieren, damit Sie sie sehen können.
Helmut Voelzkow, Prof. Dr., Uni Osnabrück
Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! Sie müssen JavaScript aktivieren, damit Sie sie sehen können.

Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 18. März 2010 um 12:44 Uhr