Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2007 Die Aktualität der Vergangenheit
Die Aktualität der Vergangenheit PDF Drucken E-Mail
„German Documentaries“ in Yamagata und in Seoul

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Im „Filmforum“ in Seoul v.l.n.r.: Jörg Witte, Marc Bauder, Jens Schanze, Christian Beetz, Dolmetscherin Ji Ae Chun, Jürgen Böttcher, Jan Peter, Marcel Schwierin

Ein großer Erfolg war der deutsche Schwerpunkt auf dem 10. Internationalen Dokumentarfilmfestival im japanischen Yamagata (4.-10.10.07), der im Rahmen der „German Documentaries“-Präsentationen der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) mit Unterstützung von German Films und des Goethe Instituts Japan stattfinden konnte. Das Goethe Institut Korea und die Institute in Kyoto und Tokyo zeigten das Programm im weiteren Verlauf des Oktober ebenfalls.
Yamagata ist eines der wichtigsten Dokumentarfilmfestivals Asiens. Mit seinem internationalen Wettbewerb mit rund 1000 Einreichungen, von denen 15 ausgewählt wurden, mit seinen Reihen „New Asian Currents“, einem historischen Wissenschaftsfilmprogramm „Dramatic Science“, den „New Docs Japan“, den Veranstaltungen „The endurance and future of 8mm Films“ und zahlreichen Seminaren und Vorträgen deckt es ein breites Spektrum an Veranstaltungsangeboten ab, das von rund 20.000 Zuschauern besucht wurde.
Eine der wichtigsten Programmreihen war vom 5.-9.10.07 das deutsche Programm „Die Aktualität der Vergangenheit / Facing the Past“. Zu diesem Thema liefen 15 deutsche Filme. 1450 Zuschauer sahen diese im bis auf wenige Ausnahmen ausverkauften Kino „Forum“.
Die Filme, die vom Festival Yamagata ausgewählt wurden, waren in drei Programmblöcke gegliedert: „Recollections and records of War“, „Reconsidering the Postwar History of East and West Germany“ und „Traces of East Germany“.

Gäste und Filme
Das Festival und die Goethe Institute luden 7 deutsche Regisseure bzw. Produzenten sowie Brigitte Krause und Jörg Witte ein, die das Programm vorbereiteten und organisierten.
So konnten Die Mauer von Jürgen Böttcher Strawalde, Jeder schweigt von etwas Anderem von Marc Bauder, Der Rebell von Jan Peter, Mein Leben als Terrorist von Alexander Oey (hier war der Produzent Christian Beetz in Japan und Korea), Winterkinder von Jens Schanze, Ewige Schönheit von Marcel Schwierin, Black Box BRD und Der Kick von Andres Veiel (nur in Japan) persönlich vorgestellt werden.
Weiterhin liefen im Rahmen der „German Documentaries“ Der unbekannte Soldat (Michael Verhoeven; nur in Yamagata), Das Märchen vom Fischlein (Wolfgang Reinke), Liebte der Osten anders? (André Meier), Ich liebe euch alle (Eyal Siovan, Audrey Maurion), Verriegelte Zeit (Sybille Schönemann), Drehbuch: Die Zeiten (Barbara und Winfried Junge) und Kehraus, kehrein (Gerd Korske).
Die letzten drei Filme wurden nur in Yamagata gezeigt, da sie hervorragend zum Thema „Traces of East Germany“ passten und japanische Untertitel vorhanden waren. Die anderen Filme wurden simultan über Kopfhörer ins Japanische übersetzt oder es waren ebenfalls japanische Untertitel vorhanden (Black Box BRD und Der Kick).
In Korea wurden die deutschen Filme simultan untertitelt.

Publikumspreis für deutschen Film
german02Darüber hinaus waren drei deutsche Beiträge im Wettbewerb in Yamagata: Wild, wild Beach (Alexander Rastorguev, Vitaly Mansky, Susanna Baranzhieva), 12 Tangos. Adios Buenos Aires (Arne Birkenstock) und Mr. Pilipenko und sein U-Boot (Jan Hendrik Drevs, René Harder). Ein weiterer deutscher Film, Public Blue von Anke Harmanns, lief in der Reihe „New Asian Currents“. Jan Hendrik Drevs zeigte seinen Film in einer Sonntagvormittag-Vorstellung vor einem Auditorium von etwa 400 Zuschauern. Herr Pilipenko ... erhielt in Yamagata den Festival-Publikumspreis.
Begleitend zum deutschen Programm fanden in Yamagata zwei Symposien („The Nazis Past and present“ und „Divided by the Wall“) unter Leitung von Herrn Takeo Sato (Professor an der Takushoku Universität Tokyo) statt. Hier wurde - hauptsächlich auf dem Podium - über die Themen der Filme mit den anwesenden deutschen Regisseuren diskutiert. Beim ersten Tag war auch der japanische Regisseur Ikeya Kaoru zeitweise dabei. Er hat mit The Ants einen Dokumentarfilm über nach Ende des II Weltkriegs aufgrund eines Geheimabkommens zwischen japanischen und chinesischen Kommandeuren weiterhin in China stationierte japanische Soldaten realisiert, die später in Japan inhaftiert wurden.
Anlässlich eines Empfangs des Goethe Instituts Japan und der AG DOK wurden in Anwesenheit des Bürgermeisters von Yamagata auch die Kontakte mit den anwesenden Kollegen und Kolleginnen aus aller Welt intensiviert - bei deutschem Essen und Bier.

Großes Interesse auch in Korea
Obwohl das Programm kurzfristig in ein anderes Kino verlegt werden musste, sahen rund 600 Zuschauer die deutschen Filme vom 10.-14.10.07 im „Filmforum“ in Seoul. Parallelen der historischen Entwicklung Japans, Koreas und Deutschlands wurden immer wieder thematisiert. In Korea fanden zu den Filmen unter Leitung der Goethe Institut-Mitarbeiter Oan Ho Meng und Hyun-Jeong Kim Diskussionsrunden mit dem Publikum statt.
Nach Mein Leben als Terrorist - das Portrait Hans Joachim Kleins, einem der so genannten OPEC-Attentäter von 1975 -, ist vorwiegend darüber debattiert worden, warum Klein so offen auftritt und ob seine Schilderungen vorher abgesprochen worden, ja, sogar vorgeschrieben worden wären. Diese Anmerkungen basieren auch auf der Tatsache, dass es nicht viele koreanische Dokumentarfilme zu politischen Themen gibt, und das Dokumentarische, wie aus dem Publikum bestätigt wurde, im Im „Filmforum“ in Seoul v.l.n.r.: Jörg Witte, Marc Bauder, Jens Schanze, Christian Beetz, Dolmetscherin Ji Ae Chun, Jürgen Böttcher, Jan Peter, Marcel Schwierin Die Aktualität der Vergangenheit – „German Documentaries“ in Yamagata und in Seoul Film & Medienbüro - Rundbrief Dez. 07 Reisebericht Fernost 19 Fernsehen vor allem mit Tierdokumentationen verbunden sei. Eine Diskussion, die im weiteren Verlauf den Begriff „Linksfaschismus“ mit der Frage verknüpft, ob denn die DDR ein linksfaschistischer Staat gewesen sei, steht in Korea auch immer im Kontext der derzeitigen politischen Konstellation.
Ca. 50 km von der innerkoreanischen Grenze entfernt sind die Debatten in Seoul natürlich nicht auf die kurze Zeit nach den Vorführungen zu begrenzen, die Fragen, vor allem auch unsere, sind nicht alle gestellt und der Antworten gibt es noch viele zu finden. Dem Filmprogramm zur deutschen Geschichte sollte deshalb ein ähnliches Programm über Korea zur Seite gestellt werden, und vielleicht ist diese Anregung 2008 realisierbar.
Am Eröffnungsabend in Seoul war auch die Vision eines vergleichbaren Programmms in Nordkorea Diskussionsgegenstand, da das Goethe Institut als einzige westliche Kulturinstitution eine Depandance in Pyöngjang unterhält.

Privates wird öffentlich
german03Eine zentrale Frage an beiden Orten war, inwieweit der private Hintergrund der eigenen Familie öffentlich darstellbar ist. Für Japan wäre eher undenkbar, sogar innerhalb der Familie, über die Vergangenheit und die schuldhafte Verstrickung zu sprechen, geschweige denn, das als Filmthema zu bearbeiten. Die Fragen aus dem Publikum beziehen sich dann auch darauf: Das Schweigen zwischen den Generationen, hat sich das nach der Wiedervereinigung verändert, haben die Menschen nach ihrem Freikauf im Westen ihr Leben wiederaufbauen können? Warum filmt man als Westdeutscher ostdeutsche Geschichte und wie ist der individuelle persönliche Hintergrund?
Auch die zumindest teilweise Rehabilitierung von linken wie rechten Terroristen in Deutschland und die Entwicklung der so genannten 68er zu staatstragenden Mitgliedern der Bundesregierung provoziert Fragen. In Japan sei dies nicht vorstellbar, auch weil es in dieser Intensität nie diskutiert wurde.
Die Fragen sind sehr genau, das japanische Publikum kann mit den Sujets der deutschen Dokumentarfilme viel anfangen, noch mehr, wenn es denn die Zeit gegeben hätte (auch in den Kinosälen waren die Q & A Zeiten sehr knapp bemessen). Zu guter letzt kam der Moderator beim Symposium „Divided by the Wall“ doch noch auf Jürgen Böttchers Landschaftsbild „Die Mauer“. Es ging um die Bedeutung der Projektion der historischen Filme aus der Zeit vor dem Weltkrieg, schwarz-weiß, auf die „Blut und Leid“ (so aus dem Publikum) symbolisierenden roten Graffitis auf der Mauer. Ob man allerdings eine der Publikumsfragen, wo kommen all diese Hämmer her, ernsthaft erwähnen sollte?

Diskussion über Teilung
Am intensivsten wurde über „Die Mauer“ auch in Seoul gesprochen. Ähnlich wie in Yamagata ging es hier u.a. darum, dass Böttcher trotz der persönlichen Betroffenheit und angesichts des Mit-der-Mauer- Leben-Müssens einen solch „objektiven“ Film gemacht habe. Das sei eine große Leistung, so ein Zuschauer. Und: Es sei eine große Ehre, diesen Film zusammen mit dem Regisseur hier in Seoul gesehen haben zu dürfen, merkte ein anderer koreanischer Zuschauer an. Mit einer überraschenden abschließenden Gesangsdarbietung beendete Strawalde dann diesen best besuchten Abend der deutschen Filmreihe in Seoul.
Eine koreanische Filmzeitschrift hat inzwischen kurze Portraits der in Seoul anwesenden deutschen Regisseure veröffentlicht, aktuell gibt es auch weitere Anfragen in Bezug auf deutsche Dokumentarfilme in Korea, also eine sehr erfolgreiche deutsche Dokumentarfilmreihe!

Jörg Witte

Bild 1: Diskussionsrunde v.l.n.r., Takeo Sato, Petra Matuschke (Leiterin Goethe Institut Osaka), Jürgen Böttcher, Jan Peter
Bild 2: Empfang des Goethe Instituts und AG DOK in Yamagata
Fotos: Brigitte Krause

Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 18. März 2010 um 11:25 Uhr