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Begegnungen mit den stillsten Stars der Welt

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Auch zu später Stunde bereit für eine Kostprobe: Andrew Dickson, Gast der Mitternachtsgespräche beim filmfest Braunschweig mit Peter Twiehaus | Foto: Dirk Alper

Andrew Dickson ist gerührt. Der 62jährige Musiker, der 1989 immerhin schon zum „Europäischen Filmmusikkomponisten des Jahres“ gewählt wurde, kann all die Herzlichkeit und den Respekt, dem man ihm entgegenbringt nicht so recht begreifen. Er steht auf und verneigt sich, und man spürt, dass er sich sowohl wohl fühlt, wie auch, dass ihm der Applaus ein kleines bisschen peinlich ist.
Geschehen ist das Ganze am 9. November beim Internationalen Filmfest Braunschweig. Gerade hat er fast neunzig Minuten über seine Arbeit mit Mike Leigh und den vielen anderen Komponisten gesprochen mit denen er in seiner mehr als 30jährigen Karriere gearbeitet hat. Er hat Blockflöte gespielt und Klavier und ganz bescheiden erwähnt „mehr als 100 Instrumente“ zu besitzen. Niemals würde es ihm in den Sinn kommen damit anzugeben. Dass er alle auch spielen kann hat er ganz verschwiegen, aber im Vorgespräch kurz erwähnt. Einer wie Dickson geht nicht hausieren mit dem was er kann. Wenn er über rote Teppiche geht erkennt und fotografiert ihn keiner. Und darin ist er nicht alleine.
Ortwechsel. Drei Wochen zuvor. Das Internationale Filmfestival in Gent geht zu Ende, und das macht es traditionell mit einem Paukenschlag. Am Abend zuvor gab Gustavo Santaolalla mit seinem Bajofondo Club ein umjubeltes Konzert im „Voorhuis“. Ach, den Namen kennen Sie nicht? Er gewann für Brokeback Mountain und Babel zwei Jahre hintereinander einen Oscar für die Beste Musik! Alberto Iglesias, der für seine Komposition der Musik von Der ewige Gärtner für denselben Preis nominiert war, und sehr viele Scores für Pedro Almodovar geschrieben hat, ist am darauf folgenden Abend ein Konzert gewidmet, das das Flämische Rundfunkorchester unter der Leitung von Dirk Brossé zu Gehör brachte. Und noch einen Abend später, bei der Verleihung der World Soundtrack Awards, steht Musikerlegende Maurice Jarre, der immerhin schon drei Oscars in seinem Schweizer Anwesen hat (und sechs weitere Nominierungen), auf der Bühne und moderiert einen Teil der festlichen Veranstaltung. Als er am nächsten Tag ein Plakat von Doktor Schiwago signiert bleibt niemand stehen oder fragt wer das ist.
Filmmusikkomponisten sind die stillsten unter den Stars. Sie reisen wie Du und ich, haben keine Limousinen, keine Bodyguards, keine Fotografen an ihren Fersen. Zum Interview kommen sie alleine und lassen sich soviel Zeit wie man erbeten hat. Kaum jemand weiß, dass sie meist nur fünf bis acht Wochen haben, um eine Komposition zu erschaffen, die schon mal 80 oder 90 Minuten ausmachen – und im Idealfall einem ein ganzes Leben lang nicht mehr aus dem Ohr geht. Und dennoch findet man zumeist nur einen Bruchteil ihres Werkes auf CDs. „Wir arbeiten für den Film“, so die einhellige Aussage der Künstler.
komponisten02Auf einer Pressekonferenz anlässlich der Preisverleihung plaudern Alberto Iglesias, Harry Gregson-Williams (Shrek, Bridget Jones, Chicken Run, Spy Game) und Mychael Danna (Der Eissturm, Das süße Jenseits, Capote, Little Miss Sunshine) über ihre Erfahrungen mit den Regisseuren, und es ist erstaunlich was man von ihnen erfährt, wenn man sie mal so richtig reden lässt.
Wussten Sie, dass „Tony Scott so musikalisch ist wie eine Banane, ein bisschen taub aber unglaublich leidenschaftlich“? Wusssten Sie, dass Denzel Washington bei seinem Regiedebüt Antwone Fisher dem Komponisten die Musik im wahrsten Sinnne des Wortes mit seinen Mitteln des Schauspielers „vorgespielt“ hat?
Wussten Sie, dass der große Schweiger Ang Lee es seinem Komponisten verbietet in musikalischen Fachtermini zu sprechen? Die Liste der Anekdoten und Hintergründe ist endlos und würde den Rahmen dieser Möglichkeiten sprengen.
Was jedoch immer wieder auffällt, ist die Bescheidenheit mit der die Sound- und Klangtüftler behaftet sind. Es scheint eine Art von Berufsethos zu sein. Als Harry Gregson-Williams am Abend vor dem Orchester steht, um es gleich danach zu dirigieren, entschuldigt er sich vorab bei den vor ihm sitzenden Musikern mit den Worten: „Ich hoffe, dass ich Sie in den nächsten Minuten nicht allzu sehr verwirrre.“
Mychael Danna und Alberto Iglesias stellten beim Plausch im Anschluss an das Konzert fest, dass sie innerhalb von Los Angeles nur zwei Blocks voneinander entfernt wohnen und sich noch nie begegnet sind. Vermutlich ist es dieses Einzelgängertum, verbunden mit höchster Anspannung in kurzer Zeit wieder erkennbare Töne, Klangteppiche und Melodien zu erschafffen, die aus Filmmusikkomponisten eine so besondere Spezies machen.
Sie tun alles für den Film und nur wenig für sich. Eine kleine Anekdote mag das noch verdeutlichen. Auf Nachfrage bei Andrew Dickson nach einer seiner Soundtracks auf CD verneint der gewohnt bescheiden und schüttelt den Kopf. Es gibt nicht eine seiner Musiken im Handel. „Ich bin entweder zu faul, oder es gibt kein Interesse“, sagt der 62jährige. „Wer interessiert sich denn schon für Filmmusikkkomponisten?“

Siegfried Tesche

Bild: Alberto Iglesias in concert; Filmfestival Gent
Foto: Luk Monsaert
Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 18. März 2010 um 11:00 Uhr