Filmklasse der HBK PDF Drucken E-Mail
mit Birgit Hein und Michael Brynntrup beim Filmfest Braunschweig

Zum wiederholten Male präsentierte sich die Filmklasse der HBK (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig) mit Semester- und Abschlussarbeiten beim Internationalen Filmfest Braunschweig. Zum letzten Mal unter der Ägide von Birgit Hein, erstmalig unter der von Michael Brynntrup. Es wird sich in Zukunft voraussichtlich trotz der Ablösung kaum viel ändern, denn für die Filmklasse gilt die Devise: jeder gestalte, wozu es ihn drängt. Aufgabe der Lehrer ist es, sich als Berater, Förderer anzubieten, nicht aber als Auftraggeber oder Themensteller.
Kein Wunder also, dass die Filme bei aller Differenz im einzelnen, eines gemeinsam haben: Es sind persönliche Filme. Filme, die sich darum bemühen, Kunst zu sein. Gleichwohl hat jeder Jahrgang ein eigenes Gepräge. Schließlich kennt man sich untereinander, hilft und beeinflusst sich wechselseitig. Im Jahrgang 2007 fehlten diesmal die Spielfilme. Präsentiert wurden Arbeiten, die ich als dokumentarisch, cinepoetisch, ironisch oder abstrakt bezeichnen möchte. Wobei die einzelnen Arbeiten sowohl in die eine wie in die andere Richtung changieren können.

Ausgesprochen abstrakt gab sich nur die 16mm-Arbeit Opus 1 (19 Min.) von Abel Boukich, die ohne Ton auskommt. Flirrende bunte Strukturen vom feurigen Rot über lichtes, fast weißes Blau bis zu fleckigen porösen Brauntönen füllen die Leinwand, wobei die unablässig wechselnden Staccatorhythmen das Auge arg strapazieren, es aber zugleich auch faszinieren. Alles ist hier Vordergrund und bloßes Anschauen. Doch möglicherweise gibt es trotzdem eine Metaebene. Manchmal will es scheinen, als reflektiere der Film das allmähliche und unaufhaltsame Ende des 16mm-Films, dokumentiere dies anhand seines chemischen Verfalls.

Ausgesprochen kunstlos präsentiert sich die Arbeit von Per Olaf Schmidt und Sebastian Neubauer, Yoko Ono (7 Min.). Der Film, der sich im wesentlichen mit einer einzigen Einstellung begnügt, gehört in die Rubrik „Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung“: Auf einer Böschung unterhalb einer Autobahnbrücke und hinter einer Feuerstelle steht ein junger Mann. Seine Gesichtszüge liegen im Schatten. Er klimpert auf einer Gitarre und singsangt monoton vor sich hin, Sätze wie „Yoko Ono hat gesagt: wir sind alle Fische...“ – Banalitäten, die sich tiefsinnig geben oder auch Tiefsinniges, das ins Banale gezogen wird, wer will das unterscheiden. Was vielleicht besagen will: Die Nachfahren Yoko Onos haben es beileibe nicht leicht.

Ja, leicht hat man’s nicht. Das meint – ironisch – auch Tom Schön mit seinem schwarzweißen Stummfilm Ich hab da mal ne Frage (2 Min.). Man sieht einen Männerkopf frontal und darüber kopiert tauchen in halsbrecherischem Tempo Fragen auf wie „Bin ich einverstanden?“, „Wie lange ist man jung?“, „Was ist Luxus?“, „Ist es wie es ist?“. Es schwirrt einem der Kopf vor lauter Fragen, und eine Antwort gibt es nicht.

Lebensziele S1 E1 (9 Min.) von Per Olaf Schmidt mixt Multimedia, TV, DV und Super 8 und entsprechend disparate Bildinhalte zu einem satirisch aufgemöbelten Lebenslauf eines männlichen Zeitgenosssen vom pränatalen „Ich kann nicht sehen“ (da fährt ein Krankenwagen auf eine Klinik zu, es folgt die Geburt) bis zum Blackout nach einem Motorradunfall, wo es erneut heißt: „Ich kann nicht sehen“.

hbkEine unprätentiöse, schlichte, aber umso eindringlichere Dokumentation liefert Alex Gerbaulet mit Gefangenenbilder (13 Min.) Die Kamera zeigt jugendliche Straftäter beim Tätowierer. Sie lassen sich Nazisymbole übertätowieren. Man sieht den Tätowierer bei der Arbeit, aber nie die Köpfe der Jugendlichen. Es herrscht eine ruhige entspannte Atmosphäre, auch im Ton, wenn die jungen Männer erzählen: Beiläufiges, wenig Aufregendes und schon gar nichts von irgendeiner „Bekehrung“ oder dass sie sich eines Besseren besonnen. Die Kamera registriert lediglich, sie empört sich nicht. Trotzdem herrscht kein Einverständnis des Films mit den Inhalten. (Mich erinnert dieses Verfahren an frühe Filme von Karmarkar.)

Von Ratten und Nachtfaltern (17 Min.). Ein Film von Arne Strackholder. Auch dies eine Dokumentation. Auch sie von großer Schlichtheit und Eindringlichkeit. Strackholder wählte ein Verfahren, das noch einige andere in diesem Programm sich zunutze machten: Bild und Ton gehen getrennte Wege, haben dem ersten Anschein nach überhaupt nichts miteinander zu tun oder sind in unterschiedlichem Grade nur indirekt aufeinander bezogen. Trotzdem verbindet der Zuschauer zwangsläufig Bild und Ton. Arne Strackholders Kamera zeigt eine leere, kleinbürgerliche Wohnung. Offenbar, so die Tapeten und Restbestände von Interieur, lebten hier vermutlich inzwischen gestorbene, alte Leute.
Ein junger Mann (der Filmemacher?) ist zu sehen, wie er aufräumt und die Tapeten von den Wänden schabt. Aus dem Off die Stimme eines Mannes (ebenfalls der Filmemacher?), der von einem alten Mann aus der Nachbarschaft erzählt, der sich wiederholt über die spielenden Kinder (ihn und die Schwester) beschwerte und überhaupt nicht beliebt gewesen zu sein scheint. Und aus dem Off ebenfalls passagenweise die Stimme einer Frau, die aus Prozessakten zitiert, in denen es um einen Mann geht, der als KZ-Kommandant auch persönlich an willkürlichen Morden beteiligt war. Man vermutet schon bald, dass der Betreffende in der gezeigten Wohnung lebte, erfährt aber erst peu à peu, dass es sich um den Großonkel des Filmemachers (?) handelt, der ganz offenbar hier nicht nur eine Renovierung der Wohnung in Angriff nimmt, sondern damit gleichzeitig auch die ekelhaften Spuren der Vergangenheit beseitigen möchte.

Bild und Ton getrennt. In Downtown (7 Min.) fährt Nina Martin mit der U-Bahn in New York. Während die Kamera stur aus dem Fenster blickt, die Hell- und Dunkelphasen zwischen den Stationen einfängt, ab und zu die Stationen selbst, auch Fahrgäste in Rückenansicht und Fensterspiegelung sind zu sehen, berichtet die Filmemacherin aus dem Off, was sie empfindet, wie es ihr geht in dieser fremden Großstadt, erzählt sie von ihrem Nicht eins Sein mit sich selbst, einer Art Verwirrtheit, die sich auch darin äußert, dass sich zum Schluss des Films die Stimmen bis zur Unverständlichkeit überlagern.

hbk02Eine Meisterin der Unverbundenheit von Bild und Ton ist Kathrin Maria Wolkowicz, die nicht erst mit ihrem neuen Film Aha zwei Katzen alle beide grau (6 Min.), sondern auch schon mit früheren Arbeiten gezeigt hat, wie cinepoetisch es sein kann, abstrusen Text mit (hier:) konkreten Bildern von Häuserecken und Hinterhöfen zu verknüpfen.
Beinahe märchenhaft klingen die Sätze, so sanftmütig wie grausam: „Ich beschließe die Gemeinschaftskatze zu essen, bevor sie mit mir ein Nest baut“. Dabei zeigt die Kamera einen stillen, menschenleeren von Häusern umgebenen Platz mit Bänken und Bäumen. „Ich gehe auf Zehen, Zähnen und anderen Auswüchsen durch einen silbernen Wald“ Und die Kamera erzählt von einer Backsteinmauer und rechts in der Ecke gestapeltem Hausgerätemüll. „Milchig und weiß sein Gesicht, so vertraut, dass mir schlecht wird.“ Dabei schwenkt die Kamera über eine Mondlandschaft, die sich kurz darauf als der schäbige Fußboden eines Zimmers erweist.
Und zuletzt, da schaut die Kamera durch ein Fenster auf ferne Bäume und es heißt lapidar und hintersinnig: „Sie verwechselt immer obwohl und trotzdem.“ Rational ist das nicht zu fassen, was sich in diesem dreistrophigen Poem ausdrückt, Eine melancholische Grundierung wird konterkariert durch eine latente Aufsässigkeit.

Unspoken Wish (5 Min.) von Manuela Büchting und Deny Tri Ardianto kommt ohne Sprache aus. Die menschlichen Stimmen sind Teil der sphärischen Klänge, die mal mehr (Vogelschreie, Wasserglucksen), mal weniger realitätsbezogen das Bildmaterial begleiten und paraphrasieren. Diese, die Bilder, sind bunt gemischt, wenn auch keineswegs beliebig aneinandergereiht, kehren wieder, verdoppeln, verdreifachen sich in Überblendungen, Zeitraffer wird verwendet, dann knallen plötzlich Einzelbildsequenzen wie MGFeuer auf den Betrachter los, darauf wieder ruhigere Passagen. Vorherrschend die Motive: Okerauen bei Braunschweig, Wassser, Bäume, die sich darin spiegeln, Schilfwedel, eine Frau schreitet durch das Schilf, ihr Auge: groß, ihre Hand: groß, Straßenszenen.

hbk03Koautor Deny Tri Ardiato steuerte mit Mantra (6 Min.) zusätzlich eine Tanzperformance zum Programm bei, teils vor dunklem Hintergrund, teils in der Fußgängerzone vor dem Hauptbahnhof Hannover angesiedelt. Wobei die Tänzerin und die beiden Tänzer sich der Masken seiner indonesischen Heimat bedienten.

Schließlich zwei Arbeiten von Marouan El Boubou: Der Übergang (14 Min.) und Etwas war schon vorher (5 Min.). Beide in Schwarzweiß und beide beeindruckend als Kino-Gedichte. Einander ähnlich in Machart und Intention, unterschiedlich in den Motiven, unterschiedlich auch im Grad der Abstraktion, man könnte auch sagen: der Verdichtung.
In Der Übergang ist noch ein Mann zugegen, dem man wiederholt begegnet. Mal steht er kopf, dann zwischen Eisenbahngleisen (ein Zug rattert im Off vorüber, aber im Bild erscheint er nicht), mal kauert er in embryonaler Haltung am Boden. Alles, was sich an Experimentellem um ihn herum gruppiert, auch dann, wenn er nicht im Bild ist, wird automatisch auf ihn bezogen, ist, so lässt sich sagen, seine Erlebniswelt und die ist sowohl ein Zustand wie zwangsläufig eine Erzählung, versponnen, geheimnisvoll, doch scheint sie – ob intendiert oder nicht – die Erzählung vom Tod eines Jünglings zu sein: Denn zweimal löscht es ihn aus: einmal spült Wasser über ihn hinweg (in Mehrfachbelichtung) bis er nicht mehr zu sehen ist, danach blickt er stehend in die Kamera und ein überblendendes Weiß lässt ihn allmählich verschwinden.
In Etwas war schon vorher gibt es kein im Bild anwesendes Ich mehr. Es ist ausgelagert, als lyrisches Ich in die Kamera damit letztendlich auch ins Auge des Betrachters. Der schaut wieder auf ein furioses Spiel mit Licht und Schatten, diesmal auf etwas, das einer wabernden Blase gleicht. Es könnte auch ein Tropfen in Großaufnahme sein. Und in ihm erscheint flüchtig eindeutig Erkennbares (Wald, Wasser, Strand, Uhr, ein Wanderer) oder auch Nur-Erahnbares. Dann verschwindet die Blase und etwas wie ein goldglitzernder Edelstein taucht auf, als habe sich die Blase zu kompakter Materie verdichtet. Schließlich ein Baumstamm, schwarz und kompakt aufrecht im Bild, und etwas in Schwarzweiß wird auf diesen Stamm projiziert, auch dies vertraut und fremd zugleich...

Willi Karow

Bild 1: Gefangenenbilder von Alex Gerbaulet
Bild 2: Aha zwei Katzen alle beide Grau von Kathrin Maria Wolkowicz
Bild 3: Mantra von Dey Tri Ardianto
Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 03. März 2010 um 15:02 Uhr