Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2006 In Russland, China und Ägypten: German- Documentaries
In Russland, China und Ägypten: German- Documentaries PDF Drucken E-Mail
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Ägypten. Vorn von links nach rechts: Brigitte Krause, Angela Wesnigk, Katarina Peters, Boris Baberkoff, Volker Schröder; hintere Reihe: Cay Wesnigk, Marianne Bichler, Jörg Witte (Foto Boris Baberkoff)

Mit Unterstützung von German Films hat die AG DOK im Herbst 2005 erneut Filmprogramme in Kooperation mit Filmfestivals und Kulturstiftungen in Russland, China und Ägypten zusammengestellt. Insgesamt 20 Aufführungen auf sechs russischen Festivals (Moskau, Ekaterinburg, Saratow, Wolgograd und Novosibirsk) und vier Preise für deutsche Dokumentaristen, sieben Aufführungen in Kairo im Rahmen der Deutschen Filmwoche und ebenfalls sieben auf dem German Day des Festivals in Guangzhou zeugen vom gewachsenen Interesse an deutschen Dokumentarfilmproduktionen.

Niedersächsische Botschafter
russ02Darunter waren zahlreiche niedersächsisch- geförderte Filme: INVISIBLE - ILLEGAL IN EUROPE von Andreas Voigt lief in Kairo und Guangzhou, HITLERS HITPARADE von Susanne Benze und Oliver Axer in Wolgograd, Saratow und Kairo. Dort fanden zusätzliche Vorführungen an der Deutschen Evangelischen Oberschule statt. THE MIRACLE OF POWER (DAS KRAFTEI) von Volker Schröder und SCHABENFREUDE von Brigitte Krause waren in Anwesenheit der Regisseure ebenfalls in Kairo zu sehen. EWIGE SCHÖNHEIT von Marcel Schwierin lief in Moskau, LOST CHILDREN von Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz schließlich wurde für Guangzhou ausgewählt.

Russland im Herbst
Organisiert wurden die Programme in Russland gemeinsam mit der National Association of Russian Film Festivals (NAFF) sowie mit der Projektkoordinatorin Tatjana Tschagina vom Goethe Institut Moskau. Die Filmauswahl selbst folgte dem 2005 in Ekaterinburg erarbeiteten Themenschwerpunkt ›60 Jahre Kriegsende‹, wobei neben aktuellen Produktionen wie DAS GOEBBELS- PROJEKT von Lutz Hachmeister auch ältere Arbeiten wie BLOCKADE von Thomas Kufus oder DIE SPUR DES VATERS von Christoph Boekel zu sehen waren. Alle Filme wurden in einer gesonderten deutsch-russischen Broschüre vorgestellt. Die Regisseure und Produzenten Cay Wesnigk, Sebastian Winkels, Christoph Boekel und Katarina Peters waren mitgereist und standen für zahlreiche Gespräche und Diskussionen zur Verfügung.

Diplomierte
Erfolgreich war HITLERS HITPARADE auf dem Moskauer Internationalen Festival der Filme über den Krieg (10.-15.10. 2005) mit zwei Preisen, dem Diplom für die beste Regie eines Dokumentarfilms und dem Spezialpreis des Staatlichen Archivs der Kino- und Photodokumente Krasnogorsk. Für den Wettbewerb des Internationalen Festivals des Dokumentarmelodramas ›Saratower Leiden‹ (28.10.-5.11.2005) waren 7 BRÜDER von Sebastian Winkels und AM SEIDENEN FADEN von Katarina Peters nominiert worden. Ebenfalls zu sehen waren DAS GOEBBELS-EXPERIMENT, DIE SPUR DES VATERS, HITLERS HITPARADE sowie DIE JÜDIN UND DER HAUPTMANN. AM SEIDENEN FADEN gewann nicht nur den Hauptpreis des Festivals, sondern auch den Publikumspreis, was Protagonist Boris Baberkoff und die Regisseurin und Produzentin des Films, Katarina Peters, die beide in Saratow die Preise persönlich entgegen nehmen konnten, besonders freute.

Publikumsdiskussionen
russ03DAS GOEBBELS-EXPERIMENT lief als Eröffnungsfilm der deutschen Reihe in Ekaterinburg. Die Reaktionen des sehr interessierten Publikums konzentrierten sich in erster Linie auf historische Fragen: nach welchen Kriterien wurden Goebbels' Tagebuchtexte ausgewählt, was wurde weggelassen und was wurde durch diese Auswahl bezweckt.
Dort, wo die Geschichte des letzten Jahrhunderts sich als persönliche Geschichte in jeder Familie immer noch wiederfindet, ist die Spiegelung deutscher Geschichte in den individuellen Lebensläufen der 7 BRÜ- DER auch vom russischen Publikum intensiv diskutiert worden, sei es aus soziologischer Sicht oder aus komparativer historischer Sicht, wenn der Wunsch nach einem filmischen russischen Pendant geäußert wurde.
Vieles aus der deutschen Geschichte ist nicht bekannt wie die Publikumsanmerkungen zu DIE JÜDIN UND DER HAUPTMANN bewiesen: man habe nicht gewusst, dass Juden aus Deutschland in die Sowjetunion deportiert wurden.
Den Vorführungen in Ekaterinburg folgte ein Empfang der AG DOK und des Goethe Instituts für das Festivalpublikum. Mit Wein und Butterbrot wurde das 25-jährige Jubiläum der AG DOK, das einige Tage später in Leipzig offiziell begangen wurde, hier im Ural vorweg genommen und das Publikum wurde darüber hinaus auf die Russlandpremiere des deutschen Kurzfilmprogramm Kurz und Gut des Goethe Instituts eingestimmt. Robin Mallick vom Filmfest Dresden führte in diese Kurzfilmnacht ein.
Mit dem Goethe Institut wurde in Moskau nicht nur ein positives Resümee der diesjährigen Veranstaltungen gezogen, sondern auch für 2006 eine Fortsetzung der Kooperation bei der Präsentation deutscher Dokumentarfilme auf russischen Filmfestivals vereinbart.

Aufbruch- und Weihnachtsstimmung in China
In Guangzhou (1.-6.12.2005) waren neben INVISIBLE - ILLEGAL IN EUROPE und LOST CHILDREN noch AM SEIDENEN FADEN von Katarina Peters, DANCING WITH MYSELF von Judith Keil und Antje Kruska, FROZEN ANGELS von Frauke Sandig und Eric Black (beide waren nach China mitgereist), ZUR FALSCHEN ZEIT AM FALSCHEN ORT von Tamara Milosevic und RYTHM IS IT! von Thomas Grube und Enrique Sanchez Lansch zu sehen. Das recht neue Festival hat sich im internationalen Festivalwettbewerb bereits sehr gut platziert. Was die Beteiligung von TVRedakteuren aus aller Welt betrifft, trifft man nicht oft auf ein ähnlich kompetentes Auditorium. 25 Commissioning Editors, also Einkäufer aus Frankreich, Dänemark, Holland, Polen, Australien, Japan, Südafrika, Kanada, Mexiko, Japan und China, aus den USA, von BBC, National Geographic, Arte, MDR etc. bekamen im Rahmen eines zweitägigen Documentary Sales Market und eines gleichfalls zweitägigen Pitchings einen exzellenten Eindruck vor allem von chinesischen Produktionen.

Wettbewerb intern
Für den internationalen Wettbewerb zum Thema Filme über Frauen waren 65 Filme nominiert. Die internationale Jury unter Vorsitz von Michel Noll (Quartier Latin Media Paris) belohnte den kyrgysischen Beitrag BRIDE KIDNAPPING IN KYRGYZSTAN von Petr Lom mit dem Hauptpreis. Eine Teilnahme am Wettbewerb ist solange problematisch, als der Wettbewerb nicht nur nicht öffentlich, sondern auch nicht festival-öffentlich, sondern nur jury-intern stattfindet. Die nominierten Wettbewerbsfilme wurden überhaupt nicht gezeigt, die prämierten nur in ca. 15-minütigen Ausschnitten (Ausnahme: der Hauptpreis).
Die deutschen Filme (sowie die polnischen und kanadischen) waren die einzigen, die öffentlich gezeigt wurden. Dies allein aber war im Vergleich zum Vorjahr schon ein großer Schritt nach vorn. Zu hoffen ist, dass dies 2006 auch für den Wettbewerb möglich wird.
Angesichts der zumeist hervorragenden Qualität der Beiträge auf dem Sales und Pitching-Markt kann ich vor allem auf Grund der Kontaktmöglichkeiten zu chinesischen Produzenten nur empfehlen, dieses Festival weiter in deutsche Kooperationsprojekte einzuschließen.

Ägypten im Herbst
russ04Die Veranstaltungen in Ägypten waren geprägt durch die politische Situation im Lande. Die ursprünglich im Rahmen des Al Assala Kulturfestivals in El Arish geplante Deutsche Dokumentarfilmwoche musste, da dieses auf unbestimmte Zeit aufgrund der Terroranschläge im Sommer 2005 in Ägypten und der Situation in Gaza nach Abzug der Israelis kurzfristig durch den Gouverneur von Nord-Sinai verschoben worden war, ebenso kurzfristig verlegt werden. So wurde man im Goethe Institut in Kairo fündig, das sich aber gleichzeitig mit dem Hinweis, das sei nicht seine Veranstaltung, distanzierte, und man stelle nur die Räume zur Verfügung. So lag das Problem darin, rechtzeitig das Publikum zu informieren und die German Documentaries Filmwoche (15. - 22.9.2005) publik zu machen. Im Laufe der Tage sprach es sich jedoch herum, so dass die Publikumszahlen stetig stiegen.
Nach Grußworten von Dessouki Said (Vorsitzender des Veranstalters, der Al Asala Foundation for Cultural Development) und von Dr. Friedrich Dahlberg, Leiter der Programmabteilung des Goethe Instituts Kairo, eröffnete der mehrfach preisgekrönte Film AM SEIDENEN FADEN (in Anwesenheit der Regisseurin und Produzentin Katarina Peters, des Sound-Designers Boris Baberkoff und der Cutterin Marianne Bichler) das Programm. Boris Baberkoff gab in Fortsetzung der Filmaufführung ein kurzes Cellokonzert, das Goethe Institut lud danach zu einem Imbiss ein, so dass noch lange diskutiert wurde.
An den folgenden Tagen wurden SCHABENFREUDE (in Anwesenheit der Regisseurin Brigitte Krause) und DAS KRAFTEI (in Anwesenheit des Regisseurs und Produzenten Volker Schröder) gezeigt sowie in einem weiteren Doppelprogramm HITLERS HITPARADE (in Anwesenheit des Produzenten Cay Wesnigk) und INVISIBLE - ILLEGAL IN EUROPE (in Anwesenheit des Regieassistenten Hakim El Hachoumi). Zu allen Vorführungen fanden intensive Gespräche im Saal und anschließend im Foyer mit dem Publikum statt.

Lebensentwürfe aus Deutschland
Weitere Aufführungen gab es in den beiden deutschen Schulen in Kairo. HITLERS HITPARADE in der Deutschen Evangelischen Oberschule, AM SEIDENEN FADEN in der Katholischen Mädchenschule der Borromäerinnen. In zwei Gesprächsrunden nach der Vorführung wurde in erster Linie der private Hintergrund der Geschichte, also der überraschende Schlaganfall, das Überleben sowie das Leben damit thematisiert. Hauptfragen auch hier bei den Mädchen der 11. Klassen: wie kann man sowas überstehen, aber auch: wieso macht man etwas so Privates öffentlich? Hier bei diesen ägytischen Schülerinnen bietet der Film auch so etwas wie einen Lebensentwurf und erzählt dabei durch die außergewöhnliche Form sehr viel mehr über Deutschland als viele andere Dokumentarfilme.

Diskussionsrunde über das Emotionale in Zeiten der Priorität der Politik

russ05Eine weitere Vorführung in der International Academy for Media Science kam aus technischen Gründen nicht zustande, dafür aber eine lebhafte, teilweise nur auf arabisch geführte akademische Diskussion über die Verantwortung europäischer Dokumentarfilmer für die von uns besuchte Region, denen man weltweit eher glauben würde, wenn sie Filme im Nahen und Mittleren Osten drehen würden als arabischen Regisseuren. Die Gegenposition, dass man Zuschauer weltweit über Grenzen hinweg eher erreicht, wenn man persönliche, menschliche Geschichten erzähle also die Herzen des Publikums anspreche (und dann ist egal, ob der Regisseur ein europäischer oder arabischer ist), ist dabei vor allem durch die Studierenden unterstützt worden.

Das arabische Bollywood
Die Medienakademie ist integriert in einen riesigen Innen- und Außenstudiokomplex, der für den arabischen Raum Monopolstellung hat. Einer Diskussion mit der Direktion der Egyptian Media Production City über potentielle Kooperationen u.a. im Bereich der Projektentwicklung folgte eine Busrundfahrt über das Gelände, auf dem alle möglichen Szenarien potentieller arabischer Kino- und TV-Drehorte auf- bzw. nachgebaut sind, ganzen Straßenzügen einzelner Städte folgen historische Monumente, Dorfnachbauten folgen Dschungelsets etc. etc.
Die gute Zusammenarbeit mit der Al Assala Stiftung und die Kontakte mit weiteren Produktionsfirmen bzw. Distributionen und Ausbildungsstätten (u.a. die Filmproduktion und Distribution Semat, die Akademie Media ArtLab) lassen kommende gemeinsame Aktivitäten erwarten.

PS: Die deutschen Großereignisse des Herbstes
Dass die Bundestagswahl am 18. September 2005 während unseres Aufenthalts in Ägypten stattfand, führte uns auch vor Augen, dass nicht nur die Gäste der Wahlparty der Deutschen Botschaft sich für den Ausgang der Wahl interessierten (und etwas verdattert zwischen den beiden Großprojektionen des ZDF-Programms standen), sondern auch vielen unserer ägyptischen Gesprächspartner die Namen Schröder und Merkel ausgesprochen familiär zu sein schienen. Was natürlich mit der deutschen Position zum Irak-Krieg zusammenhängt ...
Der Empfang des Deutschen Generalkonsuls zum 3. Oktober hingegen geriet in Ekaterinburg, da die wirtschaftlichen Kontakte zur dortigen Region sich rasant entwickeln, eher zu einer Werbeveranstaltung der deutschen und der Ural Wirtschaft, von der wir beglückt mit Lufthansa- und DHLDevotionalien zur Präsentation der 7 BRÜ- DER gingen, einmal mehr seriöse deutsche Kulturgeschichte zu vermitteln versuchten ...
Einzig in Guangzhou war der 6. Dezember kein offizieller deutscher Termin, sondern nur der ›German Day‹ auf dem Festival. Während die Kanadier in einen schmucklosen Vortragssaal eines großen Hotels, die Polen in den etwas seelenlosen betonummantelten Versammlungsraum eines städtischen Museums baten, lud der deutsche Generalkonsul in eine eher gediegene Atmosphäre ein: der ausgewählte Club passte mit seinen verwinkelten Ecken und Kämmerchen und schummriger Beleuchtung dann doch - wie mir schien - zu deutscher Romantik.

Jörg Witte

Bild 1: Jörg Witte mit Schülerin in der Deutschen Schule der Borromäerinnen in Kairo
Bild 2: Kairo, Goethe Institut, Eröffnung Deutsche Dokumentarfilmwoche 2005. V.l.n.r. Jörg Witte, Brigitte Krause, Volker Schröder, Marianne Bichler, Katarina Peters, Boris Baberkoff, Hakim El Hachoumi, Dessouki Said, hintere Reihe; Cay Wesnigk
Bild 3: In Saratov: Ira Nikolaijeva (Goethe Institut Kontaktbüro Saratov), Sebastian Winkels, Tatjana Tschagina (Goethe Institut Moskau)
Bild 4: Preisverleihung in Saratov an Katarina Peters und Boris Baberkoff für ›Am seidenen Faden‹




Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 23. März 2010 um 14:20 Uhr