Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2006 Die Filmklasse der HBK Braunschweig Jahrgang 2006
Die Filmklasse der HBK Braunschweig Jahrgang 2006 PDF Drucken E-Mail
hbk0120. Internationales Filmfest Braunschweig
Mit einer Werkschau der gemeinsamen Filme von Christoph Girardet und Matthias Müller aus den Jahren 1999 bis 2006 setzte das Internationale Filmfest Braunschweig seine Reihe mit Porträts von Absolventen der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) fort. Sie war im vergangenen Jahr mit Arbeiten von Iris Selke gestartet worden und soll fortan ein konstanter Programmblock des Festivals sein.
Doch schon seit langem werden neue studentische Arbeiten der unter Leitung von Birgit Hein stehenden Filmklasse Jahr für Jahr beim Filmfest vorgestellt. Der Konzeption der Filmklasse entsprechend, die sich als Teil der Freien Kunst versteht, experimentieren diese im Einzelnen höchst unterschiedlichen Arbeiten auf je verschiedene Art mit der Formensprache des Experimentalfilms, die sie zwar nicht unbedingt erweitern (so das überhaupt noch möglich sein sollte), aber vielfach doch bereits souverän beherrschen. Inhaltlich ist das Spektrum ebenfalls breit, geprägt von individuellen Vorlieben und persönlichen Obsessionen.

Acht neue Arbeiten
Den Anfang machte Kathrin M. Wolkowicz mit Volkslied (2 Min.). Die Methode ist simpel, bewährt, kann beliebig variiert werden und ist, wenn sie funktioniert, und hier tut sie das, prägnant und kurz: Bild und Ton kontrastieren und schieben sich wechselseitig Bedeutungen zu. Volkstümlichen Figuren, die sich mechanisch bewegen, Reigen tanzen, während an anderer Stelle des dörflich-bukolischen Ensembles die Figuren zweier Ziegenböcke mit den Köpfen zusammenstoßen, wird ein offenbar ebenfalls volkstümliches Lied gegenübergestellt, in dem es dörflich-derb und rüde zugeht: von Jungfrau und Hure ist da die Rede.

Geschlechterkampf
Die Handschrift von Ute Stroer ist für den, der ihren Beitrag vom vergangenen Jahr – Daumenlutscherin (vom Verband der Deutschen Filmkritik als bester Experimentalfilm 2005 ausgezeichnet) – noch vor Augen hat, auf Anhieb zu erkennen. Ihr neuer Film, Loreley (9 Min.), spielt gekonnt auf ganz ähnliche Weise mit verschiedenen Elementen, ohne eine Kopie des vorangegangenen zu sein - mit den Elementen von Licht, Luft, Farbe, Wasser, mit dem Pflanzlichen, dem menschlichen Körper, mit Dreimastern auf hoher See, über Grund schleifenden Ankern, Schiffwracks am Meeresboden, mit Größenverhältnissen und Proportionen, Tönen und Geräuschen und scheut sich nicht, offenbar zu machen, dass es sich dabei um kleine, spielzeuggroße Modelle handelt, obgleich dennoch die Inszenierung hochdramatische Realistik vortäuscht.
So erzählt der Film aufs Neue die altbekannte Geschichte von der fischschwänzigen Nixe (Loreley), die den schönen Seemann betört und schließlich ins Verderben zieht. Ein Geschlechterkampf, bei dem die Frau – augenzwinkernd – obsiegt. Aber nicht nur Ironie prägt diesen Film; es entstehen Bilder und Tableaus, die farblich und in ihrer Verträumtheit an Seestücke von Turner oder Caspar David Friedrich erinnern, gleichermaßen Fremdheit und Vertrautheit zum Ausdruck bringen.
Das Meer ist nicht weit (13 Min.) von Alex Gerbaulet handelt ebenfalls vom Geschlechterkampf, allerdings vom Geschlechterkampf in ihm selbst als Transvestit oder ›Drag-King‹, wie er sich nennt. Die Problematik wird dabei eher versteckt als explizit angesprochen, so etwa wenn das Gesicht eines Mannes (einer Frau?) auftaucht mit ganz offensichtlich aufgemaltem Bart. Gerbaulet benutzt die Form eines Tagebuchs, die es ihm erlaubt, kapitelweise unterschiedliche Formen des Experimentalfilms zu verwenden, auch wechselt er zwischen Schwarzweiß und Farbe, wiederholt gewisse Bildsequenzen, z. B. den Gang eine Treppe hinab, stellt sie in einen anderen Kontext, etwa das Bild einer im Wasser zappelnden Fliege, die an anderer Stelle noch einmal auftaucht: als zappele sie jetzt in einem menschlichen Auge. Gerbaulet wendet sich mit dem Tagebuch an ein nicht genauer benanntes DU (das Gesicht mit dem aufgemalten Bart?). Eine intime Ansprache, die aber gleichzeitig so offen gestaltet ist, dass sie dem Betrachter erlaubt, eigenen Assoziationen zu folgen.

Zukunftslügen?
hbk02Auch Dennis Feser war im vergangenen Jahr schon dabei. Sein Beitrag Workout (6 Min.) kann als Fortsetzung oder Variation von Koppel betrachtet werden. Feser ist Verpackungskünstler. Er stellt sich vor die Kamera, nimmt verschiedene Posen, Positionen ein, macht turnerische Bodenübungen, die zuletzt darin gipfeln, dass es ihm gelingt einen Kopfstand zu machen. Dabei sind seine Gliedmaßen oder auch sein Kopf durch abstruse Plastikverbände unterschiedlichster Form behindert oder auch verlängert. Aus dem Off (der sprechende Kopf wird trotzdem mitunter kurz eingeblendet) ertönt seine Flüsterstimme, die hastig offenbar Wichtiges zu sagen hat, man versteht allerdings, was gewiss beabsichtigt ist, nur einzelne Wörter, die darauf hindeuten, dass sich der Protagonist fit machen will für sein Leben in der neoliberalen Gesellschaft.
Per Olaf Schmidt, der für mehrere Beiträge dieses Programms den Soundtrack schrieb, war mit Donnerstag blau grün (2 Min.) vertreten. So minimalistisch wie seine Musik, so lakonisch ist die Bildsprache dieses 16mm-Films, der zunächst über Baumwipfel und Äste streicht, dann auf einen Rasensprenkler schwenkt, an den er sich verliert. Die Farben sind zuerst verwaschen blau, dann blassgrün. Einzelne Schriftzüge sind eingeblendet, z. B. ›den Kopf irgendwie zwischen den Schultern‹ oder ›Ich träume von der Zukunft und anderen Lügen‹.
Bill Pullman, amerikanischer Schauspieler, von David Lynch, Wim Wenders oder Roland Emmerich engagiert, aber auch für Trivialfilme gut, ist der Protagonist in Bill Pullman (9 Min.) von Sebastian Neubauer. Es handelt sich um einen Zusammenschnitt verschiedener Szenen aus unterschiedlichen Filmen, vornehmlich Bett und Actionszenen, wobei die Auswahl beliebig scheint, aber nicht sein muss, auch eine Bearbeitung stattgefunden haben könnte (so beim Sound). Der Film wird getragen vom Rhythmus und der Indifferenz der Absicht, denn auch hier könnte sein, was nicht sein muss. Könnte nämlich sein, dass sich der Filmemacher mit seinem Idol identifiziert. Könnte auch sein, er macht sich lustig.

Ferne, geheimnisumwitterte Welt
hbk03Im mexikanischen Urwald fand Peter Beyer das Material, das er in seinem 16mm- Film ›de dentro‹ (10 Min.) verarbeitet hat. Aufnahmen von Tempeln, Treppen, Mauern, Felsen, Pflanzen, Bäumen, einer Schildkröte, einem Hund, markanten Gesichtern der Mayas, ihrer in weite nachthemdähnliche Gewänder gehüllten Körper, dazwischen offenbar Persönliches, Hinweis darauf, dass man nicht eine ethnografische Studie liefern will, dass man sich vielmehr in Bezug setzt zum Anderen, Fremdartigen, aber gleichzeitig selbst fremdartig ist in dieser exotischen Umgebung, mit der man womöglich verschmelzen möchte: die nackte weiße Frau, die sich im ungeheuren Wurzelwerk eines Baumes räkelt, auch der Filmemacher selbst wohl zuweilen im Bild, kaum erkennbar, flüchtig.
Die Motive wiederholen sich, erscheinen in wechselnder Konstellation aufs Neue, mal Einzelkader auf Einzelkader flickerhaft schnell, mal überblendet, mal solarisiert, aber auch mitunter für kurze Zeit lange verweilend, kleine Pausen gewissermaßen im Fluss der Bilder und Eindrücke: Blicke auf das Gesicht eines Kindes, auf einen Mann, der im Wasser steht, der Kamera zugewandt, ein Schamane vielleicht. hbk04Dann wieder überlappen sich die Bilder, stürmen auf den Betrachter ein, wollen vieles zugleich wiedergeben. Begleitet wird die Montage der Bildrhythmen von einem vermutlich elektronisch erzeugten Klang, der zunächst entfernt an ein Trommeln und ein Rasseln erinnert und in manchen Momenten sich zu einem polyphonen Klangbild verstärkt, das an die Urwaldgeräusche denken lässt, sie aber nicht imitiert. So entsteht ein Sog, der einen unwillkürlich hineinzieht in eine ferne, geheimnisumwitterte Welt. Der Film ähnelt in seiner Wirkung einem Musikstück.

Autobiographisch?
Unentwegt redet sie. Als hätte sie Angst, dass, wenn sie schwiege, es ihr Ende wäre. Redet wie ein Wasserfall. Histörchen, Anekdoten. Geschichten aus ihrem Leben als Tochter, erzählt von den Eltern, den Konflikten mit ihnen, und währenddessen fährt sie Auto, unentwegt fährt sie, als hätte sie Angst, dass sie, hielte sie an, nicht mehr sei: Mein Haus (31 Min.) von Ulrike Jeschka. Schauplatz der Autofahrten und Schauplatz der Off-Erzählung sind nicht identisch. Das Geschilderte muss auch keineswegs autobiografisch sein; es ist aber typisch für gutbürgerliche Familien und deren Neurosen. Das Autofahren ist in diesem Kontext gleichfalls ein neurotisches Verhalten. Es ist zugleich Bildlieferant und Gestaltungsprinzip. Zur Gestaltung gehören überdies Doppel- oder Dreifachüberblendungen, so sind z. B. schattenhaft vorbeiziehende Bäume zu sehen, davor das Interieur einer guten Stube und gleichzeitig Familienfotos. Drei Ebenen - das Narrative (die Off-Erzählung), das Dokumentarische (Autofahrt, Fotos etc.) und die Präsentation als Experimentalfilm – sind untrennbar ineinander verwoben. Der Begriff ›mein Haus‹ erhält so etwas Schillerndes, Umfassenderes, bezeichnet den Wohnort schlechthin. ›Was ist das: Alle Tage geh ich aus, bleibe dennoch stets zuhaus? – Die Schnecke.‹, heißt es an einer Stelle des Monologs.

Willi Karow

Bild 1: Matthias Müller, Prof. Birgit Hein, Christoph Girardet
Bild 2: workout
Bild 3: Peter Beyer.
Bild 4: ›de dentro‹ von Peter Beyer
Alle Fotos von Personen: Dirk Alper
Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 23. März 2010 um 11:49 Uhr