Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2005 Interview mit Peter Hoffmann über seinen Film ›Oliva Oliva‹
Interview mit Peter Hoffmann über seinen Film ›Oliva Oliva‹ PDF Drucken E-Mail
oliva01
›Nono nimmt mich überall mit hin.‹ Alle Fotos: Peter Hoffmann

Das Interview wurde geführt von Olivier Pierre im Juni 2005. Es wurde am 01.07.05 in der Festivalzeitung des 16. Int. Dokumentarfilmfestivals Marseille veröffentlicht.

Was war Ausgangspunkt des Films?
Ich war für ein Jahr nach Spanien gegangen. Ich lebte anfangs in Salamanca, dann in Valladolid, und hielt mich dort mit Deutsch- und Französischunterricht über Wasser. Nono kannte ich schon länger, wir hatten zusammen in Südfrankreich Wein geerntet. Ich war schon einige Male bei ihm auf der ›Finca‹ gewesen, wo es Platz gab und oft Leute zu Besuch waren. Einmal hatten er und sein Bruder Manolo mich mitgenommen in einen Bienenstand, um mir ihre Arbeit mit den Bienen zu zeigen. Ich verstand nichts von der Imkerei, aber ich fand es schön und aufregend, auch ein bisschen beängstigend. Ich hatte Lust, mehr davon zu sehen und zu filmen.
Die Olivas hatten nichts dagegen, sie hielten mir einen Platz im LKW frei. Es sollten keine ›Dreharbeiten‹ werden, ich würde als Freund von Nono kommen, nicht um sie zu belästigen. Ich war gespannt, was ich erleben würde und was ich über die Bienen, die Arbeit und über die Familie erfahren würde. Eines Tages rief Nono an und sagte mir, dass sie nach Extremadura runter fahren würden und dass ich mitkommen könnte. Das war im Hochsommer, Anfang August.

Warum die Form eines Tagebuchfilms?
oliva02Die Idee, einen Tagebuchfilm zu machen, kam erst während des Filmens. Das Tagebuch, mit dem ich am Abend meiner Ankunft in Salamanca begonnen hatte, war nicht für den Film gedacht. Mir schwebte ein kleiner Dokumentarfilm über die Arbeit der Imker vor. Aber die Tage vergingen, ohne dass ich dazu kam, in einem Bienenstand zu filmen. Die Olivas waren mit anderen Problemen beschäftigt und wurden von Missgeschicken aufgehalten, die offensichtlich an der Tagesordnung sind. Plötzlich ging mir der Nutzen meines Tagebuchs auf. Warum sollte ich es nicht verwenden und einfach die Situation beschreiben, in der ich mich befand, mit all dem was sich ereignete? Ich versuchte also, das Tagebuch in dem gleichen Geiste fortzuführen, wie ich es begonnen hatte, unabhängig von den Filmaufnahmen.
Die Form des Tagebuchfilms hat mehrere Vorteile: Sie ersetzt das fehlende Drehbuch und überspielt meine völlige Unkenntnis in Sachen Imkerei. Der Film wird zur Erzählung. Der Zuschauer kann den Gang der Ereignisse mitverfolgen und an dem Abenteuer teilhaben. Aber das Wichtigste: Die Form des Tagebuchs hat mir erlaubt, all das mit hinein zu nehmen, was mich in dieser Situation interessierte und was ich in einem eher thematischen Film hätte unterdrücken müssen. Aber darauf musste ich eben erst kommen.
›Oliva Oliva‹ ist gleichzeitig ein Dokument über die Arbeit einer Imkerkooperative, eine Familienchronik und ein persönliches Road-Movie.
Ich glaube, diese Mischung ist es, die den Film interessant macht: Eine Imkerfamilie geht ihrer Arbeit nach, die eine Geschichte hat und eine Geographie. Diese Aspekte haben sich im Film auf natürliche Weise ergänzt, vor allem, weil mein Herangehen naiv und fast ein bisschen euphorisch war. Ich gehörte dazu und nahm gleichzeitig Abstand, alles ist aus meiner Sicht vermittelt und vermengt sich mit eigenen Gedanken und Geschichten. Ich lasse mich dabei beobachten, wie ich andere beobachte.
Das ist vielleicht manchmal ein bisschen provozierend, wenn ich von Leuten rede, die niemand kennt oder anfange, seltsames Zeug zu erzählen. Aber bei einem Tagebuch kann der Zuschauer eben nicht alles verstehen, dieses Risiko musste ich eingehen. Und vielleicht macht gerade das den Rest glaubwürdig. Es kam jedenfalls nicht in Frage, dass ich den Text umschrieb - abgesehen von einigen unvermeidlichen Kürzungen. Das hätte alles zerstört.

Wie bist Du dazu gekommen, Super8-Filmaufnahmen und Fotografien zu verbinden?
Ich hatte bereits in einem anderen Film etwas Ähnliches gemacht, dort sind praktisch alle Innenaufnahmen Fotos. Die Idee ist praktisch und ökonomisch: Die Fotos waren für dunkle Situationen und für nachts gedacht, wenn ich nicht filmen konnte. Oder für Situationen, in denen ich die Kamera nicht zur Hand hatte. Außerdem wollte ich das Super8-Material möglichst für die wichtigen Augenblicke zurückhalten, denn ich hatte nicht viel. Aber da ich nie genau wusste, was passieren würde, war die Entscheidung oft eher intuitiv.
Daneben hatte ich die Wahl zwischen Farbe und s/w, sowohl beim Filmmaterial als auch bei den Fotos. Auf der einen Seite wollte ich die leuchtenden Farben der Waben festhalten. Auf der anderen Seite zieht es mich zum s/w, das auf die Vergangenheit des Films verweist und eine größere Distanz des Zuschauers zum Bild schafft. Die abgefilmten Fotos können eine erstaunliche Dauer erreichen, wie zum Beispiel dasjenige, wo ich in der Bank bin. Diese Momente, in denen die Bewegung im Bild zum Stillstand kommt, um sich allein in der Stimme fortzusetzen, gefallen mir sehr.

Textur der Bilder, Auf- und Abblenden, Zwischentitel: Der Film läßt in mehrfacher Hinsicht an das frühe Kino denken.
oliva03In gewisser Weise ist der Film tatsächlich primitiv. Es gibt zum Beispiel keinen Direktton, alle Bilder sind stumm aufgenommen, das Bildkorn ist sehr grob. Das sind keine Spezialeffekte sondern Bedingungen, die ich hingenommen habe. Ich wollte einen ›Film‹ machen, auch wenn ich kein Geld hatte und lediglich eine Super8-Kamera. Während alle einen dazu drängen, mit Video zu filmen, weil das angeblich das günstigste sei - es muss aber wenigstens eine DV sein! Wenn man antwortet, dass einem das nicht gefiele und dass es nicht das Gleiche sei, gilt man als altmodisch oder als Purist. Vielleicht ist da was dran. Man darf heutzutage eben gegen alles sein, nur nicht gegen das Digitale!
Ich denke an den Satz von Jean Eustache: ›Je mehr Effekte, desto weniger ist es Film.‹ Man könnte den Eindruck haben, ›Oliva Oliva‹ stecke voller Effekte, aber in Wirklichkeit ist alles einfach und von den Mitteln bestimmt, die mir zur Verfügung standen.
Die Blenden sind während des Blow-Ups und beim Abfilmen der Fotos auf 16mm entstanden. Sie sind eine Form, den Schnitt zu umgehen, da, wo er nicht möglich scheint. Die Bilder werden dann einzeln präsentiert, als ›Bilder‹.

Die Bilder aus dem Film ›Las Hurdes‹ von Luis Buñuel scheinen sich unmittelbar mit Deinen eigenen zu verbinden.
›Las Hurdes‹ ist für mich ein Meisterwerk. Ich habe mich gefragt, ob ich es einfach auseinandernehmen, die Bilder umstellen, ihnen den Ton wegnehmen, sie im Wechsel mit meinen eigenen Bildern montieren und dem Rhythmus meiner Erzählung unterordnen konnte. Inzwischen erscheint mir das Kapitel über Valero durchaus gelungen: die Kontinuität in der Geschichte der Leute wird wieder aufgegriffen in der Kontinuität des Films. Mutter Oliva kehrt in ihr Dorf zurück, um das alte Haus in Ordnung zu halten, um die Erinnerung des Ortes aufrecht zu erhalten. Buñuels Film wiedersehen bedeutet ein bisschen das gleiche.
Im Gegensatz zu vielen Spaniern, die Buñuels Dokumentarfilm überhaupt nicht schätzen, sind die Olivas davon überzeugt, das von ihm Buñuels ganzer Ruhm ausgeht. Und er behandelt darin praktisch ihre Heimat! Die Armut, die der Film zeigt, erschreckt sie nicht, sie weisen sie nicht von sich.
Was diesen Großvater betrifft, den Buñuel gefilmt haben soll, so hat Nono mir später gestanden, genau genommen handele es sich nicht um seinen, sondern um den Großvater seiner Schwägerin Carmen, deren Familie aus den Hurdes stammt.

Wie hast Du die Tonspur konzipiert: auf der einen Seite die Stimme aus dem Off, die das Tagebuch liest, und dagegen gesetzt die rekonstruierten Geräusche?
oliva04Das Tagebuch ist nicht auf die Bilder hin geschrieben, es ist ein eigenständiger Text, eines der ›Erzeugnisse‹ dieses Abenteuers, genau wie es auf der anderen Seite Bilder und Tonaufnahmen sind. Der Text hat die Montage der Bilder bestimmt. Und die Zwischentitel haben die ersten Synchronpunkte gesetzt.
Die Eigenständigkeit des Textes wird dann am deutlichsten, wenn die Bilder stumm bleiben. Ich wollte zwischen beiden Elementen ein Gleichgewicht herstellen. Deshalb die sehr zurückhaltende Verwendung von Ton. Nachvertont habe ich vor allem da, wo das ursprüngliche Interesse des Films lag, bei den Arbeitsszenen. Bei anderen Gelegenheiten tauchen die Geräusche auf wie Zitate, die ich ›zu Gehör bringe‹.
Es entsteht ein zusätzlicher, scheinbar paradoxer Effekt: In dem Augenblick, in dem die Töne verschwinden, nimmt die Intensität der Erzählung zu. Also setzt man sie ein, um sie dann wieder entfernen zu können. Das ist das Gegenteil der akustischen Exzesse des Gegenwartskinos.
Die Umblättergeräusche beziehen sich auf das Lesen des Tagebuchs, sie sind wie Anführungszeichen, die immer wieder an die Materialität des Textes erinnern, der durch die Lektüre reproduziert wird.

Wie ist der Film produziert worden?
Anstatt von produzieren spreche ich lieber von fabrizieren. ›Oliva Oliva‹ ist ein handwerklich gemachter Film und völlig unabhängig hergestellt. Es war kein im Voraus kalkuliertes Projekt mit einem voraussehbaren Ergebnis. Ich wusste nicht einmal, ob wirklich ein Film entstehen würde. Ich habe auf eigene Faust gedreht, wie immer ohne Budget und mit Super8. Gegebenenfalls wollte ich anschließend eine Förderung für die Postproduktion auf 16mm beantragen. Das habe ich dann auch gemacht, zunächst in Spanien, dann in Deutschland, aber ohne Erfolg. Schließlich hat das Kulturamt Hannover etwas Geld gegeben. Aber da der Film ziemlich lang geworden war, reichte es kaum für die Materialkosten.
Sämtliche Arbeitsräume und Geräte sind mir von Leuten und Vereinen in Hannover, Hamburg und Braunschweig kostenlos zur Verfügung gestellt worden, oder im Tausch gegen andere Leistungen. Ich habe insgesamt drei Tonfassungen hergestellt: eine deutsche, französische und spanische. Nach und nach habe ich alle Arbeiten ausgeführt, aber ich kam nur langsam voran. Die Arbeitslosigkeit hat mir ermöglicht zu arbeiten, aber wirtschaftlich bin ich dadurch nicht auf den grünen Zweig gekommen.
Der Kontakt zu dem französischen Produzenten Michel David hat sich zufällig über einen spanischen Filmemacher ergeben. Zusammen haben wir die französische Festival-Kopie fertiggestellt. Wenn man davon ausgeht, dass ein Film erst dadurch existiert, dass er von einem Publikum gesehen wird, dann hat das Engagement von Michel David großen Anteil an der Existenz von ›Oliva Oliva‹.

(Übersetzung von Peter Hoffmann mit geringen Abweichungen vom Originaltext in Hinblick auf den niedersächsischen Leser.)

Bild 1: Honigernte in einem Bienenstand auf der Kastilischen Hochebene
Bild 2: Die Reiseausrüstung des Filmemachers
Bild 3: Leere Bienenkästen vor der Finca
Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 01. April 2010 um 10:19 Uhr