Home Rundbrief alte Ausgaben Jahrgang 2005 Filmklasse der HBK Braunschweig beim Filmfest
Filmklasse der HBK Braunschweig beim Filmfest PDF Drucken E-Mail
hbk
Karl-Heinrich Weghorn (li.) und Birgit Hein (re.) von der HBK mit zwei Studenten. Foto: Karl Maier

Eine ziemlich heterogene Ansammlung von Fotografien der unterschiedlichsten Motive - eine Hand mit Geldscheinen zwischen den Fingern, ein Panzer, drei Pissbecken in einem Abort, Tauben, die auf Strandkörben hocken, aber auch Zeichnungen, Schriftzeichen, ein Automodell, ein Türknauf, Pfauenfedern und und - diese Ansammlung von Willkürlichkeiten war das Ausgangsmaterial für drei recht unterschiedliche Filme, die unabhängig voneinander entstanden sind. Da sie aber hintereinander vorgeführt wurden, fügten sie sich ungewollt oder auch mit Absicht zu einem Triptychon oder einem dreigliedrigen visuell-akustischen Gesamtkunstwerk: Florian Krautkrämer unterlegt das Bildmaterial mit Ausschnitten klassischer und trivialer Musik, denen sich eine plaudernde Kinderstimme hinzugesellt, während auf der Bildebene in klugescher Manier immer mal wieder Sätze mehr oder minder philosophischen Inhalts einkopiert sind - die intellektuelle Variante gewissermaßen. Die komische liefert Sebastian Neubauer, der das Bildmaterial auf erzählende Weise kommentiert, indem er vorgibt, die einzelnen Bilder seien Partikel seiner Biografie. Was die beiden auf 8 beziehungsweise 7 Minuten dehnen, komprimiert Sebastian Egert auf eine Minute - ein Staccato der Bilder, das gleichwohl eine strophische Gliederung besitzt, da mit rhythmischer Präzision zwischen die Bildsequenzen Schwarzfilm einmontiert ist. Die Titel der Filme: ›Geschichte vom Tölpel Hans‹ / ›Armor The Inner Man‹ / ›Ego-Shouter‹.

Freiräume für Kreativität
Drei Filme aus einem Programm der von Birgit Hein geleiteten Filmklasse der HBK Braunschweig. Es handelt sich bei dem, was Birgit Hein lehrt, um freie Kunst, um eine Kunst, die nicht auf Zwecke geht, sich nicht bestimmten Apparaten wie z. B. dem Fernsehen andienen will, vielmehr deren Ziel es ist, die Kreativität jedes einzelnen zu fördern. Und wie könnte dies besser geschehen, als indem man jedem den Freiraum lässt, den er benötigt. Da nur im spielerischen Umgang mit der eigenen Phantasie sich letztlich - auch die ernst zu nehmende - Kunst verwirklicht.
Da war beispielsweise eine für die Kamera inszenierte Performance: Ein Badezimmer. Darin ein Mann, der, auf dem Badewannenrand sitzend, sich zunächst die Beine rasiert. Dann beginnt er damit, sie mit Krepp zu umwickeln. Er hört gar nicht mehr auf. Umwickelt auch den Kopf. Verbindet die Kopf- und Beinumwicklung miteinander, das ergibt ein abstruses, alles andere als harmonisches Bild. Begleitet wird diese Aktion mit der Off-Erzählung des Mannes, eine Art Reflexion, die mit dem Satz beginnt: ›Ich habe die Blicke satt‹. Das ist auch absurd, denn die Kamera schaut ja aufdringlich zu. (Dennis Feser: ›Koppel‹). Was da geschieht, ob es Unsinn ist oder eine tiefere Bedeutung hat - es bleibt dem Betrachter überlassen, sich einen Reim drauf zu machen. Er spürt denn auch durchaus, ohne es freilich in Sätze fassen zu können, dass das, was er sieht und hört, stimmig ist: ein Gefühl, ein Nachdenken, eine Stimmung widerspiegelt, die über das Persönliche hinaus sich mitteilt. Das gilt übrigens für viele Arbeiten im experimentellen Bereich. Auch für einen Beitrag wie ›No. 5‹ von Marouan el Boubou, der dem Genre des abstrakten Films zuzurechnen ist und mit wabernden, brodelnden, wie unter einem Mikroskop betrachteten Bild-Mustern arbeitet, die nur gelegentlich Konturen alltäglicher Dinge erkennen lassen. Dabei stellt der Film fundamentale Fragen wie ›Wo kommen wir her?‹ oder ›Warum bin ich hier‹, Fragen, auf die es keine Antwort gibt, es sei denn im Rhythmus der Bilder.

Geschichtenerzähler
Andere erzählen Geschichten. Aber sie erzählen sie nicht, wie man sie gewöhnlich erzählt: als in sich logische Handlung und so, dass Bild und Ton aufeinander bezogen miteinander korrespondieren. Bei Kathrin Maria Wolkowicz (›Kleiner blöder Film‹) bleiben Bild und Ton unverbunden, und so fragmentarisch sich die Erzählung gibt, in der von einem Gärtner die Rede ist, dann von zwei Kindern, dann von einer Prinzessin mit überlangem Haar, ferner sitzt frau am Küchentisch und ›wir haben auch von dir gesprochen‹, so fragmentarisch geben sich auch die Bildblicke auf alltägliche Gegenstände, zum Beispiel auf mickrige Bäume. Während allerdings der kurze Text viermal wiederholt wird, ist das Bildmaterial jeweils ein anderes. Aus dem Kontrast von Bild und Ton, der durchaus kalkulierten Kontrapunktierung (denn natürlich müssen Bild und Ton zwangsläufig in Beziehung zueinander treten) ergeben sich eigentümliche Spannungsmomente, die etwas erzählen, das nicht nacherzählbar ist.

Die Daumenlutscherin
Die düstere Geschichte vom Daumenlutscher, die Jungen davon abhalten soll, am Daumen zu lutschen, steht normalerweise für Onanie und Kastration. Für was steht sie, wenn aus einem Jungen ein Mädchen wird? Uta Stroer ist in ›Daumenlutscherin‹ dem nachgegangen. Mit welchem Ergebnis? Zunächst sieht man, verschwommen, einen rot blühenden Ast vor rotem Hintergrund; dann fällt Schnee.
Die Kamera erfasst ein Gewirr dünner Äste, die möglicherweise aus einem Gewässer ragen. Ein Geräusch wie Fröschequaken, dann eines, das an das Dengeln einer Sense erinnert.
Schließlich kommt die Schere ins Bild. Die Schere wird immer wiederkehren in allen möglichen Beleuchtungen, manchmal auch zusammen mit dem Daumen, wie er zum Abschneiden zwischen die Schenkel der Schere geklemmt ist. Die Mutter, die ausgeht und ihre Tochter ermahnt, ja nicht am Daumen zu lutschen, denn dann käme der Schneider und werde ihn ihr mit der Schere schnippschnapp abschneiden, ist durch Stöckelschuhe und Netzstrümpfe pars pro toto charakterisiert, ferner ist ihr ein alte Schlager zugeordnet, der von einer zerkratzen Platte zu kommen scheint.
Das Mädchen liegt angezogen auf einem Bett, schlummernd, oder auch auffahrend, lauschend, schreiend, mit weit aufgerissenem Mund, weit aufgerissenen Augen, oder es lutscht am Daumen oder an gerupften Hühnerhälsen, die sich um sie schlangenhaft bewegen. Der Schneider hat ein rundes schwarzes Gesicht, das schemenhaft auftaucht. Schließlich geschieht, was nicht mehr zu verhindern war, alles ist voller Blut, das Mädchen, sein Hemd, das Bettzeug, die Decken.
Danach beruhigt sich die Szenerie scheinbar. Bilder vom Anfang kehren wieder, doch dann kommt die Mutter heim. Das erschöpfte Mädchen erstarrt, lässt stumm mit sich geschehen, was die Mutter macht. Deren mit einem Netzhandschuh bekleidete Hand hält eine lange Nadel, mit der sie zwischen den Schenkeln des Mädchens, für den Zuschauer nicht sichtbar, irgendetwas bewerkstelligt. Es kann nichts Gutes sein.
Stroer hat die Geschichte wie einen farbintensiven Alptraum gestaltet. Um das zu erreichen, arbeitet sie mit vielen Detailaufnahmen, gelegentlichen Unschärfen und ständigem Lichtwechsel, so dass oft Zwielicht herrscht oder punktuell gesetzte Lichtakzente Einzelnes magisch akzentuieren.

Dokumentarisch?
Eine Persiflage ist Mirko Martins ›Eine Rede‹. Er lässt in kleinbürgerlichen Interieurs (Küche, Wohnstube, Bad etc.) Leute stehend oder sitzend Köhlers Weihnachtsansprache von 2004 abschnittsweise vortragen und entlarvt so deren Trivialität.
›Traffic‹ heißt ein weiterer Beitrag von ihm: eine witzige impressionistische Studie, aufgenommen in irgendeinem vermutlich südländischen Hafen, wo die Trucker auf Abfertigung warten. Es herrscht eine geschäftige Atmosphäre, selbst die, die auf etwas warten, machen keinen müßigen Eindruck. Wichtigstes Requisit scheint das Handy zu sein. Vornehmlich für diese Leute, die mit ihrem Handy am Ohr herumrennen oder rastlos hin und her wandern, sich um sich selbst drehen, sich abwenden, es so oder so stets eilig haben, interessiert sich die Kamera.
Ein fast schon klassischer Dokumentarfilm ist ›Für die Katz‹ von Christian Plähn und Peter Beyer, das liebevolle Porträt eines Rentners, der auf dem Areal einer schon seit Jahren verfallenden Braunschweiger Fabrik, in der er einst gearbeitet hat, nun die im verwilderten Gelände lebenden Katzen versorgt - mit Futter ebenso wie mit Streicheleinheiten. Die Autoren folgen mit ihrer Kamera nicht nur dem alten Mann, beobachten die Tiere, sondern nehmen ebenso ausgiebig die Strukturen des Verfalls ins Visier.
Seit etlichen Jahren lädt das Braunschweiger Filmfest nun schon die Filmklasse der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) dazu ein, eine Auswahl der Arbeiten des jeweiligen Jahres zu präsentieren. Eine Veranstaltung, die jedes Jahr wieder regen Zuspruch erfährt. Und bei der man sicher sein kann, einer bunten Mischung origineller Beiträge zu begegnen, die bei aller Verschiedenheit eines gemeinsam haben: Es handelt sich um sehr persönliche Arbeiten, um Filme (inzwischen meist DVDs), in denen sich das individuelle Künstlertum mehr oder minder ausgereift manifestiert.

Willi Karow
Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 30. März 2010 um 11:51 Uhr