Home Rundbrief aktuelle Ausgabe Wege zum Glück - ein Dokumentarfilm zum Thema Inklusion
Wege zum Glück - ein Dokumentarfilm zum Thema Inklusion PDF Drucken E-Mail
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Keke Larissa Marina Luschnat während einer Pause. Filmstills: Carsten Aschmann

Über 80 Menschen gestalten im Spätsommer 2013 ein inklusives Musik- und Tanzprojekt mit dem Titel ›Souvenir‹ – eine bunte Gruppe von Akteuren jeglichen Alters mit und ohne Behinderungen. Kurz vor der ersten Probe stoßen Agnieszka Jurek und Carsten Aschmann als Filmteam dazu. Von der Initiatorin Christiane Joost-Plate haben sie erfahren, dass die Gruppe eine Choreographie erarbeitet. Diese orientiert sich u. a. an Motiven des ›Souvenir de Florence‹, eines Streichsextetts von Peter Tschaikowsky. Den Impuls gab Thomas Posth, Dirigent und Leiter des ›Orchesters im Treppenhaus‹.

Für Jurek und Aschmann ist die Zusage ein Sprung ins kalte Wasser, ihr Wissen zur Materie ›Inklusion‹ nur lückenhaft. Dies schürt Ängste, erweist sich aber bald als hilfreiche Prämisse. Gänzlich und ohne Vorbehalte vertrauen sie sich dem Geschehen vor der Kamera an. Umgekehrt wird die Kamera für die Probenden mit jedem Treffen ›unsichtbarer‹. Bald sind die Filmer fester Teil des Teams. Nach und nach schälen sich die Persönlichkeiten ihrer Protagonisten heraus. Diese geben manchmal Antworten auf ungestellte, weil noch unbewusste Fragen. Offen berichten sie vor der Kamera von ihren Handicaps, oder freuen sich über das, ›was geht‹ – und, das zeigt sich schon früh: Irgendetwas geht immer.

Ein Streitpunkt in der Gesellschaft

In der öffentlichen Debatte stößt die Forderung nach Inklusion auf zahlreiche Widerstände. Nicht nur von Seiten verunsicherter Pädagogen und Eltern, wie eine betroffene Mutter im Film berichten wird. Inklusion scheint zu spalten: Kernpunkt ist die unsere Gesellschaft dominierende Leistungsorientierung. Inklusive Ansätze gelten, je nach Blickwinkel, mal als Störung, mal als willkommener Gegenentwurf zum obsoleten Prinzip. Solange jedoch die Mehrheit Inklusion als Bedrohung begreift, wird es bei politischen Lippenbekenntnissen bleiben.

Choreograph Alexander Hauer formt aus der Vielzahl der Mitwirkenden und ihrer Ideen eine Einheit. Tatsächlich sind am Premierenabend in der Marktkirche Hannover alle auf den Punkt genau vorbereitet. Der Film zeigt, wie das gelingt und wie Krisen gemeistert werden. Er bezeugt aber auch den schweren Stand der Inklusion in unserer Gesellschaft, will sie deren Fundamente nicht in Frage stellen. Trotz des spürbaren Drucks gelingt es sämtlichen Beteiligten diesen Widerspruch kreativ aufzulösen. In diesem Sinne dokumentiert Wege zum Glück ein Beispiel für bereits erfolgte Inklusion, und sei es nur für die Dauer eines Projekts.

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Dario Redecker & Harald Holstein singen die Nationalhymne.

Obwohl es der Film nicht auf leichte Antworten anlegt, gibt er doch Anlass zu Optimismus. Nicht umsonst trägt er den Untertitel: ›Über die Liebe zur Musik, die Lust am Tanzen und das Streben nach Inklusion‹. Musik und Tanz zeigen gleichberechtigt, wie ihr Zusammenspiel Lust und Leidenschaft beflügelt und ebenjene Wege zum Glück bahnt. Die ersten Reaktionen auf den Trailer sind durchweg positiv.

Häufig fällt der Name eines ähnlichen Dokumentarfilms aus dem Jahr 2004: Rhythm is it! Das Tanzprojekt von Dirigent Rattle und Choreograph Maldoom ist in seiner Dimension ungleich größer. Allein die Tanzgruppe umfasst 250 Menschen, ist allerdings weniger heterogen. Es handelt sich ausschließlich um Schüler aus Berliner Problemvierteln. Ziel des Projekts sind Reifung und Integration der z. T. ›recht schwierigen‹ Kinder und Jugendlichen. Obwohl der Film fraglos großartige Momente hat, ist seine Botschaft doch zwiespältig. In seinem Pathos aus Disziplin und Anforderung klingt unangenehm Gerhard Schröders zeitnah geprägte Formel vom ›Fördern und Fordern‹ an, frei nach dem Motto: Jeder kann es von unten bis in die Mitte der Leistungsgesellschaft schaffen – wenn er nur will. Damit droht die Realität dieser Jugendlichen, vergleichbar mit Casting-Formaten des Privatfernsehens, in eine Soap umzukippen.

Anerkennung durch Inklusion

Gewiss sind die Grenzen zwischen Integration und Inklusion fließend. Dennoch gibt es grundlegende Unterschiede. Integration bedeutet die Aufnahme eines Menschen in ein bereits existierendes System, das keinen Willen zur substanziellen Änderung aufweist. Somit geht es immer auch um die Abschleifung individueller Eigenheiten. Nicht nur Menschen mit sichtbarer Behinderung leiden unter dieser Dynamik. Sie betrifft uns alle. Die Dynamik der Inklusion, klar veranschaulicht in Wege zum Glück, ist eine andere: Sie erzeugt ein offenes System, das ›Neuzugänge‹ gerade in ihrer Individualität wertschätzt, willkommen heißt und sich seinerseits auf sie einstellt.

Silke Engelhardt

Premiere: 11. September, 20.15 Uhr Kino im Künstlerhaus, Hannover
Weitere Aufführungen: 12. September 18 Uhr, 14. September 16 Uhr

DVD-Bestellung: www.videorauschen.de
Zuletzt aktualisiert am Mittwoch, den 10. September 2014 um 13:24 Uhr