Zu Besuch beim Filmfestival in Locarno Drucken
Feuchtgebiete-Premiere und Preise für Master of the Universe und Werner Herzog
Charlotte Roche und Carla Juri // Foto: Karl Maier
Feuchtgebiete-Weltpremiere in Locarno: Charlotte Roche und Carla Juri.
Foto: Karl Maier


Das Filmfestival in Locarno zählt zu den ältesten und bedeutendsten Filmfestivals der Welt. Die 66. Ausgabe ging vom 7. bis 17.8.2013 unter dem neuen Künstlerischer Leiter Carlo Chatrian über die Leinwände in der Stadt am Lago Maggiore im Tessin. Den deutschen Film Feuchtgebiete nach der umstrittenen Buchvorlage von Charlotte Roche wollte er unbedingt im Hauptwettbewerb zeigen, nicht um zu schockieren, sondern weil der Film ›auf seine Art die Welt erzählt, in der wir leben‹, wie Chatrian in einem Interview betonte. Darin deutete er auch an, dass einige ›wohl aus dem Saal herauslaufen‹ werden. Doch zunächst strömten am 11.8. mehr als 2.500 Interessierte in das Kino FEVI zur Weltpremiere von Feuchtgebiete. Und fast alle blieben und spendeten anerkennenden Applaus, um dann doch rasch nach draußen zu eilen. Vielleicht lag das an den provozierenden und schmerzhaften Bildern, die doch einigen auf den Magen geschlagen haben.

Im anschließenden Filmgespräch, an dem neben Regisseur David Wnendt auch die Hauptdarstellerin Carla Juri, ihre Filmeltern Meret Becker und Axel Milberg, die Autorin Charlotte Roche und weitere Teammitglieder teilnahmen, gab es viel Lob für die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen von Carla Juri und der anderen Darsteller. Der Produzent Peter Rommel war sichtlich erleichtert, dass die langjährige harte Arbeit so positiv aufgenommen wurde und dass er die künstlerischen Freiräume gegenüber den Förderern und gegenüber dem ZDF sichern konnte. Er bestätigte auch, dass es bei der Fernsehausstrahlung keine Änderungen gegenüber der Kinofassung geben werde. Ein Kinobetreiber aus Deutschland bedankte sich bei Regisseur David Wnendt für diesen mutigen und politischen Film. Er sei froh, dass es gelungen sei, aus dem eigentlich unverfilmbaren Stoff ein neues Werk geschaffen zu haben.

Marc Bauder // Foto. Karl Maier
Marc Bauder gewann mit Master of the Universe.
Fotos: Karl Maier


Als am 17.8. auf der Piazza Grande vor 5.700 Zuschauern die Siegerfilme des 66. Festival del film Locarno bekannt gegeben wurden, war Feuchtgebiete nicht unter den Preisträgern. Der Hauptpreis des Festivals, der mit 90.000 CHF dotierte Pardo d’oro, ging an Albert Serra für Historia de la meva mort. Der Film des ›Enfant terrible‹ des katalanischen Films über Casanova und Dracula fand nicht überall Zustimmung. Master of the Universe ausgezeichnet Der Dokumentarfilm von Marc Bauder (Regie und Produktion) wurde von der Jury der unabhängigen Sektion Semaine de la Critique mit dem mit 8.000 Schweizer Franken dotierten Prix SRG SSR als Bester Film ausgezeichnet. Der Protagonist von Master of the Universe war einer der führenden Investmentbanker in Deutschland und machte täglich Gewinne in Millionenhöhe. Marc Bauder setzte ihn in eine verlassene Bank mitten in Frankfurt und brachte ihn dazu, erstmals über seine frühere Tätigkeit zu reden. Der Einblick in eine ›größenwahnsinnige, quasi-religiöse Parallelwelt hinter verspiegelten Fassaden‹ stieß in Locarno bei seiner Weltpremiere auf großes Publikumsinteresse.

Ja das Publikum: es kommt zahlreich aus der ganzen Schweiz, ist generös und sehr entdeckungsfreudig. Diese Entdeckungsfreude stellt das Festival seit Jahren ins Zentrum seines Programmes und wählt Filme aus, die ›Unterhaltung nicht von Intelligenz trennen‹, wie Chatrian betont. ›Es geht nicht mehr darum, als Erste etwas zu entdecken, sondern den Willen und die Möglichkeit zu haben, Filmen und Regisseuren ebenso wie Produktionen, die nicht genügend Beachtung und Wertschätzung erfuhren, Raum und Anerkennung zu verschaffen.‹ Diese Konzeption wird von den vielen Sponsoren und Förderern unterstützt und durch die Zuschauerzahlen bestätigt. Verwundert und beeindruckt zugleich reibt man sich manchmal die Augen, wenn morgens schon mehrere Hundert Besucher die verschiedenen Kinos oder auch Schulsäle und umgebaute Sporthallen füllen. Dabei sind die dort gezeigten Filme meist keine leichte Kost, sondern inhaltlich und formal anspruchsvoll. Um die zahlreichen Preise konkurrierten auch Dokumentar- und Experimentalfilme. Insgesamt wurden 250 Kurz- und Langfilme aus allen Teilen der Erde gezeigt, die von rund 163.000 Zuschauern gesehen wurden. Auch für den Schweizer Film gab es ein gutes Schaufenster.

Herzstück des Festivals ist das Open Air Programm auf der Piazza Grande, dem tollen Freiluftkino mitten in Locarno. Bis zu 8.000 Zuschauer sahen hier auf der 26 x 14 m großen Leinwand bei sommerlichen Temperaturen und unter funkelnden Sternen aktuelle und ältere Filme. Der Publikumspreis der Piazza in Höhe von 30.000 CHF ging an Gabrielle von Louise Archambault aus Kanada, ein berührender Film über eine behinderte junge Frau und ihre Leidenschaft für Musik.

Ebenfalls auf der Piazza startete um Mitternacht das zweieinhalbstündige Meisterwerk Fitzcarraldo von Werner Herzog. Zuvor hatte Herzog dort den Pardo d’onore für sein Lebenswerk erhalten, in das er bei einem Publikumsgespräch einen kleinen Einblick gewährte. Vor rund 500 alten und jungen Bewunderern machte Herzog deutlich, dass er immer die totale Kontrolle über seine Filme haben müsse. Als Regisseur mache er bei seiner Arbeit keinen Unterschied zwischen einem Spiel- und einem Dokumentarfilm. Wer beim Dokumentarfilm die beobachtende Haltung einer Überwachungskamera einer Bank einnehme und dann darauf warte, dass irgendwann mal was passiere, solle lieber keine Filme machen.

Karl Maier
Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 10. September 2013 um 12:41 Uhr