Ein Freigeist im Kino: Carsten Aschmann bereitet sein Kinodebüt vor Drucken
Carsten AschmannIn den letzten 20 Jahren warst Du mit Deinen Experimentalfilmen überaus erfolgreich. Wie kommt es, dass Du plötzlich an einem Spielfilm arbeitest?
Ich habe als kleiner Junge Fernsehen geguckt und Spielfilme haben meine Kindheit geprägt. Ich hatte als Kind einen kleinen Schwarzweiß-Fernseher, auf dem guckte ich nachts Fassbinder-Filme. Ich fand seine Filme sehr seltsam und habe kaum etwas verstanden. Ich dachte daher auch immer, dass die Welt der Erwachsenen wirklich krank ist. Das Interesse für den Experimentalfilm und die Filmkunst kam erst dazu, als ich selbst angefangen habe Filme zu drehen.

Warum hast Du Dich nicht eher dem narrativen Film zugewandt?
Ich bin erst mit 24 Jahren zum Film gekommen und drehte meine ersten Arbeiten auf Super-8. Zu dieser Zeit habe ich es sehr genossen, schnell und unabhängig zu arbeiten. Im Gegensatz dazu war der Spielfilm unattraktiv. Die komplizierte Finanzierung und aufwändige Logistik fand ich immer sehr hemmend. Es verschreckt einen Freigeist.

Was hat sich verändert?
Wenn ich experimentell arbeite, habe ich ein Konzept, bei einem Spielfilm benötige ich ein Drehbuch. Mittlerweile ist für mich das Schreiben ein vertrauter Prozess. Jetzt kann ich es mir vorstellen. Bei einem Drehbuch kann man seiner Phantasie freien Lauf lassen – die Einschränkung kommt erst, wenn jemand sagt, das geht aus finanziellen Gründen nicht, oder das funktioniert dramaturgisch nicht. Das Drehbuch ist nur eine Blaupause. Ich kann entscheiden, ob eine Geschichte in Asien oder Vahrenwald passiert.

Du sagst, das Drehbuch ist eine Blaupause. Es ist ein Werkzeug. Aber die Entwicklung des Films wird Dich wahrscheinlich wieder einschränken, oder?
Viele wollen Spielberg sein, ich nicht. Ich kann mittlerweile gut einschätzen, was realisierbar ist, und was nicht. Star Wars oder Solaris, das ist hier die Frage.

Besteht da nicht ein Widerspruch? Du sagst einerseits, Du kannst dir mit großer Freiheit etwas ausdenken, und andererseits weißt Du genau, in welchem Rahmen Du arbeitest?
Aber das ist doch genau der Rahmen, in dem die Kreativität stattfindet. Freiheit heißt nicht unbegrenzt Luftschlösser zu bauen. Ich habe zum Beispiel die Freiheit, die Perspektive des Mörders einzunehmen. Und dies steht nicht im Widerspruch dazu, ob ich es umsetzen kann oder nicht.

Das heißt aber auch, dass Du in Deiner Arbeitsweise sehr entwickelt und sicher bist. Ich habe zwei Langfilmdrehbücher geschrieben. Das gibt eine enorme Sicherheit.
Doch ob ein Stoff zündet, weiß man vorher nie. Man fängt immer wieder bei Null an. Selbstsicherheit und Selbstzweifel gehören zusammen.

Siehst Du einen Unterschied zwischen der Zielgruppe für experimentelle Filme und Spielfilme?
Beim Spielfilm wird mehr manipuliert. Man will die Zuschauer auf eine ganz bestimmte Art und Weise emotionalisieren. Ob man das gut findet oder nicht, ist eine andere Sache, doch es ist eine Tatsache. Der Experimentalfilm ist für mich hingegen mehr Aufklärung. Der Zuschauer, der sich für den Experimentalfilm interessiert, möchte sich vielmehr selbst definieren. Er hat mehr Interesse an der Ästhetik und Form der Filmsprache.

Es gibt doch aber so viele Arten des Spielfilms – wenn ich mir zum Beispiel den späten Godard anschaue...
Aber schau Dir doch mal den späten Godard an, der ist doch eher der Avantgarde zuzuordnen. Es war bei ihm doch schon fast Methode, den Zuschauer zu enttäuschen. Ich bin kein großer Godard-Fan. Wer sich Experimentalfilme anschaut, interessiert sich für die Metasprache des Films. Der Spielfilm ist oft Simulation von Wirklichkeit. Der Experimentalfilm ist das Erzeugen einer eigenen filmischen Realität. Bei meinem neuen Stoff habe ich ein Thema, das für ein größeres Publikum geeignet ist.

Worum geht es?
Ich habe mich an ein sozialkritisches Thema herangewagt, das sicherlich polarisieren wird. Es geht um Recht, Gerechtigkeit und Selbstjustiz. Jeder erwachsene Mensch hat in seinem Leben damit schon Erfahrungen gesammelt. Deshalb gehört der Stoff ins Kino. Es ist der Stoff, der auch in Kleists ›Michael Kohlhaas‹ das zentrale Thema ist. Es geht um den Umgang in einer Gesellschaft, die einem eine Wiedergutmachung verwehrt.

Das Interview führte Nils Loof

Carsten Aschmann war 2004 mit seinem Kurzfilm Trumpet For Love für den deutschen Filmpreis nominiert. 2009 gewann er den Hauptpreis der internationalen Jury in Oberhausen für Ketamin – Hinter dem Licht. 2012 war er mit Waterscope Transitions beim Rome Film Festival in der Reihe Cinema XXl nominiert. Dieses Jahr ist sein Film Gas Avalon auf dem Short Film Corner in Cannes vertreten.
Zuletzt aktualisiert am Dienstag, den 28. Mai 2013 um 09:03 Uhr